Blutseele
gut?«
Sie schlug Aststücke und Blätter von ihrem Körper, als sie auf die steinige Lichtung stolperte. »Mom?«
Der hässliche Schatten des sterbenden Baumes vermittelte eine unangenehme Kühle. Lilly kniete sich hin, legte ihrer Mutter eine Hand auf die Schulter und fühlte ihr Zittern. Doch ihre Mutter sah immer noch nicht auf.
»Genau, du läufst besser weg!«, schrie Lilly in die umstehenden Bäume. »Du hast meine Mom geschlagen; ich werde dich verhauen, du kleiner Rüpel!«
»Er ist entkommen …«, jammerte ihre Mutter. »Der Baum ist gestorben. Der Zauber gebrochen. Und er ist entkommen!«
Lilly löste ihren Blick von den Bäumen. Die Hitze des Tages verwandelte die Luft in ihrer Lunge in Dampf. Es fiel ihr schwer zu atmen, und entgeistert wich sie vor dem toten, geköpften Huhn am Fuß des Baumes zurück. Entsetzen über schwemmte sie und verwandelte sich in Schock, als ihre Mutter langsam aufstand und sich an einer Ecke ihres Kleides Blut und Federn von den Händen wischte. Im Geröll vor ihr lag eines ihrer großen Küchenmesser.
Blut ist bindend, Blut ist Reiz; Fleisch widersteht süßer Klinge nicht.
Was zur Hölle tat Emily?
»Mom?« Im Gesicht ihrer Mutter sah Lilly den roten Abdruck einer Hand. Sie schwankte. Auf dem Boden lag ein totes Huhn, zwischen den Steinen ein Messer. Die Hände ihrer Mutter waren blutverschmiert. »Was tust du? Mein Gott, hast du hier draußen ein Huhn geschlachtet?«
Tränen rannen über Emilys runzliges Gesicht, als sie sich auf die Lippen biss, um nicht zu schluchzen. »Ich kann ihn kein zweites Mal binden«, sagte sie, die Augen auf den Wald gerichtet, als lauerten darin immer noch die Wölfe ihrer Kind heit. »Er vertraut mir nicht. Und selbst wenn ich es könnte, der Baum ist gestorben. Nichts kann ihn in totem Holz halten. Nichts.«
Verängstigt packte Lilly ihre Mutter an der Schulter. »Kennst du diesen Jungen? Mom, wer war das?«
Doch ihre Mutter stand einfach nur da, während eine Träne nach der anderen über ihre Wangen rann und sie wunderschön machte. »Du hast ihn gesehen? Lilly, es tut mir leid. Ich hätte dir nie von ihm erzählen dürfen. Aber ich dachte, er wäre für immer verschwunden. Dass du seinen Namen kanntest, hat es ihm erleichtert, seinen Weg in dei nen Kopf zu erzwingen, dich dazu zu bringen, ihn zu sehen.«
Plötzlich sah ihre Mutter auf, als wäre ihr etwas eingefallen. Sie packte Lilly fest am Arm. »Wo ist Meg?«
Ihre Angst steckte Lilly an, doch sie verdrängte sie und begrub sie unter Logik. Doch die Furcht stieg trotzdem wieder auf, wie Wasser. »Sie ist zu Hause. Glaubst du wirklich, ich hätte sie hierher mitgenommen? Warum hast du eines unserer Hühner getötet?« Blut ist bindend, Blut ist Reiz. Meine Mutter ist verrückt.
»Du hast sie allein gelassen?« Lillys Mutter packte das Messer und eilte zu einem großen Felsen, der halb im Boden vergraben lag. Mühsam kletterte sie hinauf, dann nutzte sie ihn und weitere Felsen als Trittsteine, um vorsichtig und unsicher über das Gebüsch zu springen. »Er wird sie mit einem Lächeln verführen, und auch das nur, wenn er sie nicht schon längst einmal im Mondlicht nach draußen gelockt hat! Wie konntest du sie allein lassen? Ich habe dir doch gesagt, dass er frei ist. Ich habe dir gesagt …«
»Sei still! Halt einfach den Mund!«, schrie Lilly, während die Sonne auf sie herabbrannte. Das Echo ihrer Wut und ihres Frustes wurden von den umstehenden Bäumen zu ihr zurückgeworfen, während sie auf dem steinigen Boden neben der toten Kiefer stand und ihre Mutter dabei beobachtete, wie sie von Felsen zu Felsen sprang, als wäre sie zehn Jahre alt. »Es gibt keinen Waldgeist. Du bist krank, Mom. Gib mir dieses Messer!«
Wie eine Wilde sprang sie über die drei Steine, die sie trennten, entwand ihrer Mutter das Messer und warf es neben das tote Huhn, dessen Blut bereits in den Boden gesickert war. »Wir gehen jetzt nach Hause, und dann wirst du niemals mehr über diese Sache reden, außer mit einem Psychologen. Hast du mich verstanden?
»Nimm sofort die Hände von mir, Lilly Ann.«
Die Stimme ihrer Mutter war kalt, und Lillys Hand war leer, als ihre Mutter ihr den Arm entriss. Die ältere Frau stand hoch aufgerichtet vor ihr auf dem Felsen. Ihre Haare wehten um ihr Gesicht mit den zusammengekniffenen Lippen. »Ich bin nicht verrückt«, sagte sie, und ihre Wut war offensichtlich. »Du hast ihn gesehen. Leugne es nicht. Du hast ihn gesehen, und er hat mit dir gesprochen. Was
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