Blutseele
und umklammerte sie mit beiden Händen, als sich der Bus in Bewegung setzte. Seine nackten Füße wirkten auf dem dreckigen, mit Schneematsch überzogenen Gummiboden irgendwie seltsam. Er saß breitbeinig da, um die Balance zu halten, und enthüllte so seine nackten Unterschenkel.
»Ähm«, sagte Robbie und bedeutete mir, nach hinten zu gehen. »Er ist okay.«
»Das stimmt besser mal«, grummelte der Fahrer und beobachtete uns in seinem großen Rückspiegel.
Jeder gefahrene Block brachte uns weiter vom Fountain Square weg und ein Stück näher zu unserem Haus. »Bitte«, sagte ich und bemühte mich, nicht allzu verzweifelt zu wirken. »Wir versuchen doch nur, ihm nach Hause zu helfen. Es ist Sonnenwende.«
Die Miene des Fahrers wurde weicher. Er nahm eine Hand vom Lenkrad und wühlte neben sich an der Tür herum. Dann gab er mir mit einem leisen Knistern eine Plastiktüte. »Hier«, meinte er. »Wenn er sich übergibt, sorg dafür, dass er es in die Tüte tut.«
Ich atmete erleichtert auf. »Danke.«
Ich stopfte die Tüte in eine Tasche und wechselte einen besorgten Blick mit Robbie. Zusammen gingen wir ans Ende des Busses. Mit langsamen Schritten näherten wir uns vorsichtig dem Mann, während die Lichter der Stadt verblassten und es im Bus dunkler wurde. Glücklicherweise waren wir die einzigen Fahrgäste, wahrscheinlich, weil wir in ein überwiegend von Menschen bewohntes Viertel fuhren. Zur Sonnenwende überließen die Menschen die Straßen den Inderlandern.
Der Blick des Mannes schoss zwischen Robbie und mir hin und her, als wir uns ihm gegenüber hinsetzten. Ich leckte mir über die Lippen und rückte näher an meinen Bruder heran. Ihm war kalt und er zitterte, aber trotzdem ging ich nicht davon aus, dass er seinen Mantel zurückfordern würde. »Robbie, ich habe Angst«, flüsterte ich, und der kleine Mann blinzelte.
Robbie zog seine Handschuhe aus und packte meine Hand. »Es ist okay.« Er atmete einmal tief durch, dann sagte er lauter: »Entschuldigen Sie, Sir?«
Der Mann hielt eine Hand hoch, als wollte er um einen Moment Geduld bitten. »Ich bitte um Entschuldigung. Welches Jahr schreiben wir?«
Mein Bruder warf mir einen Blick zu, und ich platzte heraus: »1999. Es ist Sonnenwende.«
Die wachen Augen des Mannes schossen zu den Gebäuden, die jetzt eher eine Skyline bildeten, nachdem wir nicht mehr zwischen ihnen standen. Er hatte wunderschöne blaue Augen und unglaublich lange Wimpern, für die ich eine BH-Größe eingetauscht hätte. Wenn ich überhaupt eine BH-Größe gehabt hätte.
»Wir sind in Cincinnati?«, fragte er leise, während sein Blick von einem Gebäude zum nächsten sprang.
»Ja«, sagte ich, dann entzog ich Robbie meine Hand, als er sie drückte, um mich zum Schweigen zu bringen. »Was?«, zischte ich ihn an. »Findest du, ich sollte lügen? Er will doch nur wissen, wo er ist.«
Der Mann hustete und verhinderte damit eine Antwort meines Bruders. »Es tut mir gegenwärtig außerordentlich leid«, sagte er und nahm eine Hand von der Stange. »Ich muss nur atmen, um zu sprechen, und einen Körper dazu zu bringen, dies zu akzeptieren, ist eine mächtige Herausforderung.«
Überrascht wartete ich einfach ab, während er einmal tief durchatmete.
»Ich bin Pierce«, sagte er schließlich, und sein Akzent wurde deutlicher, irgendwie formeller. »Ich bezweifle nicht, dass Ihr nicht mein endgültiges Urteil darstellt, sondern fürwahr …« Er warf einen Blick auf den Fahrer, bevor er fast unhörbar flüsterte: »Ihr seid Ausübende der Mächte. Eine Meisterhexe, Sir.«
Der Mann atmete nicht. Ich beobachtete ihn wirklich genau, und er atmete nicht. »Robbie«, sagte ich drängend und zog an seinem Ärmel. »Er ist tot. Er ist ein Geist.«
Mein Bruder lachte nervös und überschlug die Beine, um seine Körperwärme zu speichern. Wir saßen direkt über der Heizung, aber es war trotzdem kalt. »Das wolltest du doch erreichen, oder, Glühwürmchen?«
»Ja, aber er ist so real!«, antwortete ich leise. »Ich habe nicht mehr erwartet als ein Flüstern oder ein Gefühl. Keinen nackten Mann im Schnee. Und ganz sicher nicht ihn!«
Pierce wurde rot. Er suchte meinen Blick, und ich schluckte meine nächsten Worte hinunter, weil mich die tiefe Verwirrung in seinen Augen so überraschte. Wir wurden nach vorne geschoben, als der Fahrer bremste, um jemanden mitzunehmen, und der Mann fiel fast vom Sitz. Er musste mit beiden Händen die Stange umklammern, um sich festzuhalten.
»Ihr habt mich
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