Blutseele
diesem Stockwerk sich eher schweigsam und unkooperativ gaben, während sich Gerüchte in Windeseile im Krankenhaus verbreiteten. Sie musste nicht verhätschelt werden; sie musste sich bewegen. Es war schließlich nicht das erste Mal, dass sie ihre Reserven bis zur Erschöpfung geleert hatte. Und es würde auch nicht das letzte Mal sein.
Mit Hoc hinter sich passierte Grace ein Wohnzimmer mit großen Fenstern, die den Blick über den Parkplatz und auf einen sonnenbeschienen Park freigaben. Die sterile Einrichtung des Raumes wirkte kaum gemütlich genug, um hier kurz auszuruhen, bevor man in sein Zimmer zurückhumpelte. Das Wohnzimmer war leer, aber Hoc hatte die Ohren aufgestellt und trottete jetzt mit erwartungsvoller Miene vor ihr her, bis er eine Tür erreichte, die er mit der Nase aufschob.
Sofort erklang ein fröhlicher Ruf, und Grace entspannte sich. Sie hatte Boyds Stimme erkannt. Sie klopfte an die dicke, viel zu große Tür und grinste, als die Babysprache, in der ihr Partner mit Hoc redete, abbrach und ein selbstbewussteres »Komm rein, Grace« erklang.
Lächelnd schob sie sich an der Tür vorbei. Die tief stehende Morgensonne ergoss sich in das Einzelzimmer. Boyd war bereits wieder auf den Beinen. Er saß an dem niedrigen Tisch, und sein Bademantel gab den Blick frei auf haarige Beine und knochige Füße in einfachen Pantoffeln. Ihr Partner kraulte Hoc die Ohren, der glücklich mit den Vorderpfoten auf den Knien des Mannes stand. Es war wahrscheinlich das erste Mal, dass sie Boyd nicht im Anzug sah. Mit seinem unordentlichen, ungekämmten grauen Haar wirkte er verletzlich und müde. Doch das war nicht der Grund, wes wegen ihr Lächeln erst gefror und dann erstarb.
Jason.
Der große, schlanke Mann hatte sich bei ihrem Eintreten von der niedrigen Kommode erhoben, auf der er gesessen hatte. Die Sonne fing sich in seinem blonden Haar und den Metallfäden, die in seine Uniform eingewebt waren. Er wirkte selbstsicher und beobachtete sie ruhig unter seinem Pony hervor, um erst ihre Reaktion abzuschätzen, bevor er etwas sagte. So war er. Es irritierte sie, wie mühelos Jason seine Gefühle beiseiteschieben konnte, um in einer Diskussion die Oberhand zu gewinnen.
Sie waren am selben Tag in die Agentur eingetreten, hatten beide dasselbe studiert, wollten beide in die Elite. Sie hatten unterschiedliche Vorgeschichten: ihre voller Schande und Angst, seine voller Entdeckungsfreude und stolzer Eltern. Sie konkurrierten miteinander. Doch kaum hatten sie festgestellt, dass sie dieselben Ziele verfolgten, verbanden sie ihr Schicksal. Seine Liebe hatte die Wut aus ihrer Seele verdrängt. Aber dann war er befördert worden und sie nicht. Als er den Platz in der Elite errungen hatte, während sie einmal zu oft übergangen worden war, hatten sich ihre Wege getrennt. Jason war nicht ihr Boss, aber als Mitglied der Elite hatte er einen höheren Rang als sie und konnte ihr Befehle geben, die sie befolgen musste. Die Tatsache, dass er sich gerade mit ihrem Partner unterhielt, verhieß nichts Gutes.
»Jason«, sagte Grace ruhig, und die beiden Männer wechselten einen unlesbaren Blick. »Schön, dich zu sehen«, log sie und zwang sich, ihre Zähne voneinander zu lösen. Mein Gott, es war vier Jahre her.
Hoc jaulte und ließ sich von Boyds Knien fallen, um zu ihr zu kommen. Grace kraulte ihm den Nacken und nutzte den Moment, um einen Blick auf den Krankenhausmonitor an ihrem Handgelenk zu erhaschen, bevor der Hund sich zu ihren Füßen hinlegte. Im Moment lag nicht ihre übliche Uhr um ihren Arm. Das Krankenhausgerät konnte Millisekunden von Erg-Ungleichgewicht lesen. Diesen Monitor hatte sie nicht einfach ablegen können wie den schrecklichen Kit tel, und das verdross sie. Sie war kein Invalide, und das Ding war wahrscheinlich mit einem GPS-Sender ausgestattet.
»Ich hatte mich schon gefragt, wann du auftauchen wür dest«, sagte Boyd und brach damit das unangenehme Schwei gen im Raum. »Setz dich. Möchtest du Fettsuppe? Sie haben mir genug für sechs gebracht.«
Er hatte sich wieder seinem Frühstück zugewandt. Grace zog ihre Füße unter Hoc heraus. »Nein, danke«, erwiderte sie und trat vor, um Boyd zu umarmen. Er legte nicht einmal seinen Löffel ab, als er einen Arm ausstreckte, um ihre Umarmung zu erwidern, und dann wieder auf einen Stuhl deutete. Der Geruch der Fettsuppe brachte ihren Magen zum Knurren, aber sie würde nichts essen, und wenn sie am Verhungern wäre. Sie hatte heute Morgen bereits drei Portionen
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