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Blutsgeschwister

Blutsgeschwister

Titel: Blutsgeschwister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dia Reeves
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wütend gemacht hat oder bei Auftritten so high war, dass er von der Bühne fiel, hab ich mir dieses Ding angeschaut und beschlossen, ihm noch eine Chance zu geben. Tony hatte niemanden, der auf ihn aufpasste.«
    Er sah Fancy an, als würde er auf eine Antwort warten. Aber sie hatte nichts zu sagen. Tonys Familienleben interessierte sie nicht.
    Er wandte sich von ihr ab, als wäre sie es, die uninteressant war. »Und wo hast du ihn vergraben?«
    Sie zeigte auf den Baum, der aus einem der Steinkreise wuchs.
    »Unter diesem Baum?«
    »Er ist der Baum.«
    Er betrachtete ihn genauer und sah, dass der Baum statt mit Blättern voller winziger Menschen hing, die alle mit Tau bedeckt waren und gleich aussahen, wie Klone.
    »Tony?« Er starrte Fancy an. »Was hast du mit ihm gemacht?«
    »Ich habe ihn begraben, und aus ihm wurde dieser Baum«, sagte Fancy, als würde sie es zum millionsten Mal wiederholen.
    Die Mini-Tonys waren nackt und niedlich und hingen wie Früchte von den Ästen. Fancy hatte irgendwo gelesen, dass die Menschen in China Birnen züchteten, die die Form von Buddha hatten. Die Tonys waren auch so, nur lebendig, sie blinzelten mit ihren Sternenaugen und strampelten mit ihren winzigen Beinen.
    Ilan trat neben den Baum und pflückte einen der Tonys. Dieser jaulte so laut, dass er ihn fallen ließ wie ein heißes Stück Kohle. Der Tony fiel auf den Boden, rollte sich auf den Rücken und lag dann ganz still, Arme und Beine zusammengerollt wie eine tote Spinne.
    Fancy kickte ihn weg und setzte sich auf die dunkle, reiche Erde, und nach kurzem Zögern setzte sich Ilan zu ihr. Er spielte etwas Langsames und Trauriges auf der Gitarre. Seine Hände zitterten.
    »Spiel was, das ich kenne.«
    »Ich spiele Tonys Lieblingssong«, blaffte er, ohne von den Gitarrensaiten aufzusehen. »Ist dir doch recht, dass ich Tonys Lieblingssong auf seiner eigenen verschissenen Beerdigung spiele?«
    »Ist sie das gerade?«
    »Es ist die einzige, die er je haben wird.« Ilan spielte weiter, und die Tonys fingen an zu singen.
    Ilan starrte mit offenem Mund die Früchte an, erstaunt über den süßen Klang, der aus ihren Kehlen kam. Während sie sangen, kamen die Glücklicher-Ort-Leute in den Garten. Sie trugen ihre besten Beerdigungsgewänder. Fancy winkte sie herbei, und sie bildeten einen Kreis um den Baum und weinten um einen Jungen, den sie nie getroffen hatten. Es war alles falsch, so falsch, wie sie um Kit geweint hatten, aber Ilan schien das Theater zu gefallen. Er schien es zu brauchen.
    »Ich kann nicht ändern, wer ich bin«, sagte sie ihm, weil sie das Gefühl hatte, sich erklären zu müssen. »Ich versuche immer, es unter Kontrolle zu haben. Ich strenge mich echt an. Aber manchmal schaff ich es nicht. Ich weiß, dass er dein Freund war, aber …«
    »Er war nicht mein Freund. Du hast recht, er war ein Arschloch. Das Schlimmste an Tonys Tod ist, dass die Leute alle sagen werden: ›Ich hab’s gewusst, dass es mit ihm mal ein schlimmes Ende nehmen wird.‹ Weil er wild war. Weil sein Vater ein Spieler und auf Drogen ist. Die Leute haben diese Einstellung … Sie können es nicht ertragen, wenn jemand aus einem schlechten Umfeld kommt und es überlebt.«
    »Die Leute sagen das die ganze Zeit über Kit und mich. Dass es besser für uns wäre, niemals geboren zu sein, als einen Serienkiller zum Vater zu haben. Es gibt Schlimmeres, glaube ich.«
    »Moralvorstellungen, zum Beispiel?« Er beendete den Song, und obwohl die Tonys aufhörten zu singen, wurde weiter geweint.
    Fancy sagte: »Moralvorstellungen machen alles kompliziert.« Sie schnippte mit den Fingern, und das Weinen hörte abrupt auf, als wäre es ausgeschaltet worden. »Ihr dürft gehen«, sagte sie zu den Trauergästen.
    Die verschwanden durch die Hecken, aber zwei blieben zurück – Franken und eine Frau mit glänzendem Haar und den langen, schlanken Beinen eines Fohlens. Franken hatte keine Narben mehr, seine Haut war so unversehrt und frisch wie bei seiner ersten Begegnung mit den Schwestern. Er war sehr attraktiv. Unerfreulich attraktiv.
    »Was ist mit deinen Narben passiert?«, fragte Fancy unnötig heftig. Leute sahen gut aus, obwohl sie hässlich sein sollten, sie beweinten den Tod eines Arschlochs, obwohl sie feiern sollten. Alles stand auf dem Kopf.
    Franken sah sie nervös an. »Nach Kits Tod fand ich, dass ich neu anfangen müsste. Also hab ich mir eine neue Haut vom Patenbaum geholt.«
    Er zeigte auf den Baum, der ein paar Meter von ihnen entfernt stand:

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