Blutsgeschwister
unterhielten sich zwei Blaue Schwestern. »Siehst du die beiden? Geh zu ihnen und bitte sie, für dich zu beten.«
Kit stand auf und rieb sich die Knie – das Polster auf der Gebetsbank war schon sehr abgewetzt. »Meinst du, das machen sie?«
»Oh Mann. Das ist ihr Job. Mach schon.«
Kit warf einen Sacagawea-Dollar in die Spendenbüchse, bevor sie zu den Schwestern ging. Obwohl sie eher klein waren, schafften sie es, in ihren graublauen Ordenstrachten wie heilige Wolkenkratzer aufzuragen. Die ältere Schwester schenkte ihnen ein strahlendes Optimistenlächeln, als würde sie denken, die Welt sei wunderbar. »Ihr Mädchen seht durcheinander aus. Können wir euch irgendwie helfen?«
Fancy musste Kit in die Seite kneifen, damit sie endlich sprach. »Kennen Sie Gabriel Turner?«
»Ja«, sagte Schwester Optimismus traurig. »Aber wir haben ihn schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.«
Kit schüttelte den Kopf, als hätte sie Wasser in den Ohren. »Gabe ist nicht mehr in die Kirche gegangen?«
»Seit Wochen nicht mehr.«
»Aber er hat gesagt …« Kit griff nach ihrem Kreuz. Fancy dachte, sie würde es sich abreißen, aber das tat sie nicht. Sie umklammerte es nur so fest, dass die Adern auf ihrem Handrücken sichtbar pochten.
»Ich denke, er will kommen, meine Liebe«, sagte Schwester Optimismus sanft. »Ich sehe ihn fast jeden Tag auf der Treppe herumspuken, aber er kommt nie herein. Nicht mehr. Ganz egal, was wir zu ihm sagen.«
»Er ist ein Lügner. Oder er ist verrückt. Oder beides.« Kit schluckte schwer. »Wie auch immer, ich hatte gehofft, Sie könnten für ihn beten. Vielleicht können Sie ihm helfen. Ich kann es wohl nicht.«
»Natürlich können wir für ihn beten. Wenn du ihn sehen solltest …«
»Das werde ich nicht. Komm, Fancy.«
Die Schwestern flohen nach draußen und – Witz aller kosmischen Witze – fanden Gabriel auf den Stufen der Kathedrale.
Kit erstarrte, als Gabriel sich zu ihr auf den Treppenabsatz gesellte. Sein Haar war wieder zu Zöpfen geflochten und stand nicht mehr wild und lockig in alle Richtungen ab. Aber es war etwas Wildes in seinen Augen, als er Kit ansah. Fancy kam näher und war jede Sekunde bereit, ihn von den Stufen zu treten, falls er etwas tun sollte.
Er sagte: »Was machst du hier?«
»Dir gehört die Kirche nicht«, fauchte Kit. »Ich kann herkommen, wann immer ich will.«
»Gabriel!« Schwester Optimismus stand in der Tür hinter ihnen und bekam die Spannung zwischen ihm und Kit gar nicht mit. »Wir haben gerade von dir gesprochen. Komm doch rein!«
»Ich kann nicht.« Er sah Kit an. »Ich will ja, aber …«
»Aber ich bin hier? Du willst nicht denselben Raum einnehmen wie ich? Na toll. Er gehört dir.« Sie ging um ihn herum und trat ihm so kräftig in den Hintern, dass er an Schwester Optimismus vorbei in die Kathedrale stolperte.
»Ist schon in Ordnung«, sagte Kit, als die Nonne beim Anblick von Gabriel zu ihren Füßen erschrocken keuchte. »Er hat mir beigebracht, wie man jemandem so richtig in den …« Fancy kniff ihr in den Arm. »Hintern tritt. So richtig in den Hintern tritt. Hör auf, mich zu kneifen!«
»Kit«, zischte Fancy. »Schau ihn dir an!«
Gabriel lag gleich hinter der Schwelle der Kirchentür. Er wand sich und schrie. Seine Beine schlugen auf den Boden, und eine seiner wild herumfliegenden Hände berührte den schwarz bestrumpften Knöchel einer Schwester. Er schlug seine Hand weg. Es zischte, als wäre etwas verbrannt, und er hielt sich den Kopf. Die Blauen Schwestern liefen zu ihm. Ihre wadenlangen Ordenstrachten raschelten, als sie ihn ins Gebäude zogen. Kit eilte ebenfalls zu Hilfe. Fancy war froh, dass es so viele Zeugen gab. Vielleicht könnten sie die Aussagen liefern, die man brauchte, um Gabriel irgendwo einliefern zu lassen. Er war offensichtlich ein Psycho. Oder krank. Oder beides.
Schwester Optimismus untersuchte Gabriel. »Ist es das, was ich glaube, Schwester Judith?«
Fancy bemerkte die aufgeregte Sorge in den Augen der Schwestern. »Es gibt nur eine Möglichkeit, sicherzugehen. Ich hole Weihwasser.«
»Gabriel?« Schwester Optimismus kniete neben seinem Gesicht und versuchte ihn zu zwingen, sie anzusehen. In ihrem Blick lag die Ruhe, die von dem Wissen kam, dass ganz egal, was passieren würde, alles nur Gottes Wille sein würde. »Ich bin’s, Schwester Maggie. Falls du dich an mich erinnerst. Wir haben dich seit Monaten nicht mehr in der Kirche gesehen, du böser Junge.«
»Du hast mir gesagt, dass du
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