Blutsgeschwister
ist sie unbrauchbar, außer, man will wen belauschen. Oder jemandem etwas vorgaukeln.«
»Weil du sie nur dafür benutzt.« Cherry strich über das Kinetoskop. »Wenn du den Schlüssel findest, werden sich deinen Fähigkeiten erweitern.«
»Welche? Die Sicht oder das Töten?«
»Beides.«
Fancy betrachtete Cherry aufmerksam mit klopfendem Herzen. »Es stört Sie nicht? Dass wir Mörderinnen sind?«
»Warum sollte es mich stören? Ich bin nicht deine Richterin. Ich bin deine Verwandte. Ich will nur, dass du glücklich bist.«
»Töten macht mich aber nicht …« Fancy dachte rasch darüber nach, wie weise es war, unter dem Mondbaum zu lügen. »Vielleicht macht es mich ein bisschen glücklich. Aber Kit spricht davon, dass sie eine Leere in sich spürt. So geht’s mir auch.« Fancy hatte gar nicht gewusst, dass dies der Wahrheit entsprach, bis sie die Worte aus ihrem Mund purzeln hörte. »Und nicht mal Töten kann sie wirklich füllen.«
»Vielleicht liegt es daran, dass du deine Gabe nicht benutzt, um andere glücklich zu machen. Massenhaft Leute könnten deine Hilfe gebrauchen.«
»Leuten helfen.« Fancy nahm ihre Seifenlauge raus. »Sie hören sich an wie Kit.«
»Mehr als du. Komisch, dass zwei Mädchen, die schwören, dieselbe Person zu sein, so wenig gemeinsam haben.«
»Aber wir sind gleich«, sagte sie und füllte den Keller mit Blasen. »Wir teilen alles.«
»Warum bist du dann ohne sie hier?«
Cherry öffnete ihre Handfläche, und eine von Fancys Blasen landete darauf und breitete sich aus, bis sie so groß war, dass Cherry dahinter nicht mehr zu sehen war. Weil Kit drinnen war und von dem flaschenbehängten Mondbaum fortwanderte, sich dehnte und strecke, als sei sie aus einem tiefen Schlaf erwacht. Sie sah sich verwirrt um, als hätte sie etwas verloren.
»Sie sucht mich«, sagte Fancy. Gewissensbisse plagten sie, als sie ihr Spielzeug wieder einsteckte. »Wie komme ich zurück?«
Aber sie konnte Cherry nicht sehen, weder wenn sie an der Blase vorbeisah, noch wenn sie hindurchsah. Sie streckte die Hand nach Kit aus, und die Blase explodierte.
Fancy keuchte, als der Atem aus ihr herausgepresst wurde. Sie blinzelte und stellte fest, dass nicht nur die Blase, sondern auch der Keller und Cherry verschwunden waren. Es gab nur noch die Dunkelheit und den Pfad, der pinkfarben glitzerte, aber immer schwächer wurde wie die flackernde Flamme einer Kerze.
Fancy raste den Weg zurück, den sie gekommen war. Sie hatte Angst davor, was passieren würde, wenn der Pfad verschwand, bevor sie wieder bei ihrer Familie war. Und es hatte so lange gedauert, bis sie Cherry gefunden hatte. Der Pfad würde wahrscheinlich verschwinden, noch bevor sie auch nur halbwegs …
Fancy stürmte aus dem dunklen, andersweltlichen Wald hinaus auf die Lichtung, blinzelte in die Helligkeit und schrak zurück vor den lauten Stimmen, die sie umgaben, obwohl sie sich über die Geräusche freute. Sie war noch nie so froh gewesen, unter Leuten zu sein.
»Fancy, was ist los?«
Es war Madda. Fancy, geblendet von so viel Licht nach so viel Dunkelheit, stolperte und fiel hin. In einen Schoß.
»Mann. Ich hätte nicht gedacht, dass mir Cherry meinen Wunsch so schnell erfüllt.«
Fancys Augen gewöhnten sich an das Licht, und ihr Blick verengte sich auf Ilan, der sie aus nächster Nähe angrinste. In ihrer Eile, seiner Umklammerung zu entkommen, stieß sie ihn in einen Teller voller Maiskolben. Sie rannte zu Madda, die ihm gegenübersaß.
»Warum schwitzt du so? Und zitterst?« Madda fühlte ihre Stirn. »Hast du einen Sonnenstich?« Sie goss Fancy ein Glas Limonade ein. »Trink und meide für heute die Sonne.«
Fancy lehnte sich an Maddas Seite und trank die Limonade. Dabei betrachtete sie Ilan düster. Er saß immer noch einfach nur da und tupfte sich Butter von seinem Hemd. »Was macht der denn hier?«
»Er wollte mir Gesellschaft leisten.« Madda lächelte sie an. »Wie gesagt, wir sind alte Freunde.«
Er wirkte sehr viel lockerer als bei ihrer letzten Begegnung, weniger angespannt. Vielleicht, weil sein Bruder nicht dabei war.
»Das ist das zweite Mal, dass ich dich in der Öffentlichkeit sprechen höre«, sagte er und lächelte Fancy an. »Deine Mutter hat gesagt, du könntest sprechen, aber ich hab ihr nicht geglaubt.«
»Warum haust du nicht ab und redest mit deiner Mutter?«
»Fancy!«
»Kann ich nicht.« Er schenkte ihr ein kühles Lächeln. »Sie hat sich verpisst, als ich zehn war.«
Madda beugte sich über den
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