Blutskinder
Leben besaß ich eine eigene Küche.
Ruby schien in der Schule besser zurechtzukommen, auch wenn sie noch immer von einigen Kindern gehänselt wurde. Ich konnte nur hoffen und beten, dass es nicht wieder schlimmer wurde. Sie hatte Spaß am Französisch- und Musikunterricht und freundete sich mit einem Mädchen namens Alice an, die hin und wieder mit zu uns kam. Ich arbeitete hart für den Inhaber des Blumengeschäfts. Mit dem, was ich in Brighton gelernt hatte, machte ich aus seinem armseligen Laden eines der beliebtesten Floristikgeschäfte weit und breit.
Ich schrieb Baxter und erzählte ihm von unserem Leben in London, doch eine Zeit lang erhielt ich keine Antwort. Ich hatte schon Angst, er wolle nichts mehr von mir wissen, weil er mich für Patricks Tod verantwortlich machte – womit er in gewisser Weise ja auch recht hatte. Aber ich ließ nicht locker, und schließlich schrieb er mir zurück. Anfangs war er ziemlich kurz angebunden, doch dann berichtete er mir, wie es ihm ging und dass jetzt zwei Verkäuferinnen für ihn arbeiteten. Er hatte mir das Leben gerettet, und zum Dank hatte ich seines zerstört. Doch Baxter war nicht so leicht unterzukriegen.
Als wir endlich zu Hause sind, prickelt mir der Schweiß auf der Haut. Im Haus ist es schön kühl. Robert hat offenbar schlechte Laune, aber ich werde ihn schon auf andere Gedanken bringen. Ich werfe ihm eine Kusshand zu, doch er schaut gar nicht her. Also laufe ich nach oben, ziehe mich aus und hinterlasse mit meinen Kleidungsstücken eine Spur vom Schafzimmer ins Bad. Ich stelle mich unter die Dusche und lasse das Wasser zwischen meinen Brüsten hinabrinnen. Ich bin aufgedreht und übermütig.
Aber da Robert den Köder offenbar nicht geschluckt hat, muss ich wohl noch deutlicher werden. Warum er wohl derart miese Laune hat? »Robert, Hilfe! Komm schnell!« Zehn Sekunden später ist er oben und reißt die Duschtür auf. Ich habe mich von oben bis unten eingeseift und er weiß gar nicht, wo er zuerst hinschauen soll. »Zieh dich aus und komm rein. Du bist so verschwitzt! Komm, lass dich von mir waschen.« Ich werfe ihm noch einen Kuss zu. Ich spüre, wie sehr er mich begehrt, doch er steht nur da und glotzt mich an. Da greife ich nach ihm und ziehe ihn, vollständig bekleidet, wie er ist, zu mir unter die Dusche. Damit hat er nicht gerechnet. Der Anblick ist so komisch, dass ich Tränen lache. »Ich habe doch gesagt, dass ich dich sauber kriege.« Kichernd presse ich meinen glitschigen Körper an ihn. Seine Kleider sind sowieso schon durchweicht. »Zieh das Hemd aus.« Er gehorcht widerwillig. »Aber, aber, nun sei doch nicht so grantig. Du wirst schon sehen, was du davon hast, wenn du unbedingt ein schmutziger Junge sein willst …« Mit zusammengekniffenen Augen betrachtet er mich von oben bis unten. Ganz bestimmt hat er auch Lust darauf.
»Es gibt etwas, worüber wir reden müssen«, sagt er und stemmt beide Hände gegen die Wand. Ich bin zwischen seinen Armen gefangen. »Es ist was Ernstes.«
Da kommt mir zum allerersten Mal der Verdacht, dass er Bescheid weiß.
Ruby war im Laden nebenan und spielte Klavier, ein wildes, wütendes Stück, das sie selbst komponiert hatte. Es war ein Zeichen dafür, dass sie wieder einmal Ärger in der Schule gehabt hatte. Im Geschäft war nicht viel los, da es schon den ganzen Tag lang ununterbrochen regnete. Bei diesem Wetter konnte ich noch nicht einmal die Eimer mit Blumen vor die Tür stellen. Eigentlich hätte ich genauso gut schließen können, denn der Besitzer des Ladens schaute nicht mehr oft vorbei. Er überließ mir die Bestellungen und vertraute mir völlig bei den Abrechnungen. Ihm war wohl klar, dass ich ihn nicht übers Ohr hauen würde, weil ich auf den Job angewiesen war.
Dass ich so frei schalten und walten konnte, gab mir Selbstvertrauen. Ich fing an, mich anders zu kleiden, legte mir eine modische kinnlange Frisur zu und ließ mir blonde Strähnchen färben. Im Stillen hoffte ich sogar, eines Tages einen Mann kennenzulernen. Einen, der mich liebte und mich nicht bezahlte. Ich versuchte mir vorzustellen, wie es war, sich von einem Mann anfassen zu lassen, ohne vorher den Preis auszuhandeln.
Ich war gerade dabei, die Wocheneinnahmen zusammenzurechnen, als die Ladenklingel ging. Ich schaute auf und schob die Lesebrille hoch. Ich brauchte nicht wirklich eine Brille, aber mir hatte das Schildpattgestell so gut gefallen, also ließ ich mir ein paar ganz schwache Gläser einsetzen und kaufte die
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