Blutskinder
wir sind schon lange geschieden.«
»Du hattest einen Mann und hast ihn tatsächlich gehen lassen?« Sarah schaut mich mit großen Augen an. Sie hat ein paar Krümel am Mund. Sie ist schön, und ihr Baby wird bestimmt ebenso schön werden.
»Wir hatten viele Probleme«, erkläre ich ihr. »Die hätten wir nie lösen können.«
Ich erzähle ihr nichts davon, wie Andy sich in ein hasserfülltes Nervenbündel verwandelte. Wie er mich anspuckte und schlug und meine Kleider zerriss und mir das Haar abschnitt, als ich schlief.
Ich erzähle Sarah auch nicht, dass Andy meinen Wagen manipulierte, sodass ich in eine Hecke krachte, und wie er versuchte, mich mit Terpentin zu vergiften. Wahrscheinlich würde sie nicht verstehen, dass seine Wut auf mich schließlich so riesengroß wurde, dass ich sie noch spüren konnte, wenn er gar nicht da war. Sie wuchs und wuchs in ihm wie ein Tumor, aber er wollte sich von niemandem helfen lassen. Andy machte mich allein für Natashas Verschwinden verantwortlich.
»Jonathan und ich werden nie Probleme haben. Wir lieben uns.« Sarah hebt die Füße hoch und wärmt sich die Zehen am elektrischen Kamin. Heute trägt sie einen Sari, um ihren Babybauch zu verstecken, und dazu leuchtend rosa und grüne Zehensocken. Der bestickte Stoff des Saris fällt in großen Falten über das Baby. Er ist smaragdgrün und purpurrot und hat eine goldene Kante. Sarah trägt kein Make-up und in diesem letzten Stadium der Schwangerschaft wirkt ihre Haut wie feines Wildleder. Ihr Haar ist lang und glänzend. Ich bin so aufgeregt wegen des Babys!
»Lies noch mal meine Hand«, sagt Sarah lachend und kuschelt sich enger an mich. »Zeig mir die Kinderlinie.« Sarah duftet nach Kardamom und Kreuzkümmel und Zimt. Wie ein großer Tandoori-Kochtopf. Ich nehme ihre Hand und studiere die krakeligen braunen Linien in ihrer hellen Handfläche.
»Schau, das hier ist dein Baby.« Von den unterbrochenen Linien und all den anderen Kindern, die sie noch bekommen wird, sage ich nichts.
Lächelnd greift sie nach meiner linken Hand und fährt mit ihrem langen Fingernagel über meine Handfläche. »Also muss das hier deine Kinderlinie sein. Schau nur, Cheryl, du wirst noch ein Baby bekommen!«
Ich lächle ebenfalls und schaue hoch. Unsere Gesichter sind sich so nahe, doch unsere Gedanken so weit voneinander entfernt …
»Ja«, sage ich, hebe ihre Hand an meinen Mund und drücke einen kleinen Kuss darauf.
18
I
n dieser Nacht schlief Robert vollständig bekleidet auf Rubys Bett. Als er erwachte, schmerzte sein Nacken und seine Beine waren völlig verkrampft. Er blinzelte benommen in die Morgensonne und brauchte einige Sekunden, bis ihm wieder einfiel, dass Erin und Ruby nicht mehr da waren.
Als er sich aufsetzte, wurde ihm übel. Dens Cognac vom Vorabend im Zusammenspiel mit Tulas üppigem Essen und dem Schock schlugen ihm auf den Magen. Betont ruhig ging Robert unter die Dusche, zog sich frische Sachen an und trank etliche Tassen schwarzen Kaffee. Dabei überlegte er die ganze Zeit, was er machen sollte. Er rief Den zu Hause an, erreichte jedoch nur den Anrufbeantworter. Jetzt, um halb acht, schlief Den bestimmt noch, und vor halb zehn würde er sich nicht im Büro blicken lassen. Robert hinterließ seinem Partner eine kurze Nachricht, dass er sich den Tag freinahm. Dann sprach er auf Tanyas Mailbox und bat sie, seine gesamten Termine abzusagen.
Danach rief er Louisa an. Nach dem zweiten Klingeln ging sie an den Apparat. Ihre Stimme klang munter und ein wenig atemlos.
»Ich bin gerade reingekommen«, sagte sie. »Ich war im Fitnessraum des Hotels. Bei dem Regen hatte ich keine Lust zu laufen.«
Robert sah aus dem Fenster. Die dicken Tropfen eines Sommerschauers klatschten gegen die Scheiben. Es gab ihm einen Stich, als er daran dachte, dass Erin und Ruby jetzt vielleicht draußen unterwegs waren.
»Du bist eine Powerfrau, Louisa.« Er wartete, aber es kam keine Antwort. Vielleicht konnte sie ja hören, unter welchem Druck er stand. Wie einer von diesen Lügendetektoren, die auf die Stimme reagierten. »Es ist etwas passiert«, gab er schließlich zu.
»Was denn?«
Sie schien an einem Getränk zu nippen. »Erin und Ruby haben mich verlassen.«
»Oh«, sagte sie und schluckte. »Das ist schlecht.«
»Kommst du her?« Robert ärgerte sich, dass seine Stimme so flehend klang, denn er wollte Louisa gegenüber auf keinen Fall Schwäche zeigen. Er fuhr sich mit der Hand über das stoppelige Kinn, was ihn daran erinnerte,
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