Blutskizzen
Klebebänder und Bürokram. Im Fach darunter ein Pappkarton. Mal rausziehen. Wieder Klebebänder, ein Tacker mit Krampen, drei Kabelbinder, sieh an, sieh an. Sind aber kleiner als die an den Leichen.
Sonja sieht in den hingehaltenen Karton, macht ein staunendes Gesicht.
»Sind aber kleiner, damit kann man niemanden fesseln. Trotzdem.«
Im dritten Schrank nur ein paar Bügel mit Klamotten. Drei Regenjacken, ein Kittel, Gummistiefel, zwei Hosen. In den Fächern zwei Arbeitsanzüge, noch in Plastik verschweißt. Tja, warum hängen hier Klamotten?
Noch die Pappe ableuchten. Schon ziemlich plattgelatscht, auf der Oberfläche nur wenig Staub, keine auffallenden Flecken. Kurz anheben. Drunter auch nichts Verdächtiges. Auf der rechten Sofalehne was Dunkles. Mal genauer ansehen, ist aber kein Blut, irgendwas anderes.
Sonja steht wie eine Geistergestalt im Halbdunkel.
»Wir lassen den ED mal nachsehen, aber ich glaube nicht, dass das unser Tatort ist.«
»Warum?«
»Ich finde, es sieht so aus, als ob hier wirklich länger niemand mehr war, und nicht so, als wären hier zwei Männer getötet worden. Schade.«
»Wieso schade?« Sie kommt mit nach draußen, schließt wieder ab.
»Von der Gegend her gar nicht so ungeeignet als Tatort. Wäre schön gewesen, wir hätten ihn gefunden, je früher desto besser.«
Noch das Rolltor abschließen.
Das Handy, Telefonbuch, Ulla.
»Mordkommission, Wiesing.«
»Ulla, ich bin’s. Ich glaube nicht, dass das hier unser Tatort ist, aber wir können zur Sicherheit den ED mal durchschauen lassen. Vielleicht sogar den Leichenhund, wenn er mal greifbar ist. Irgendwas von den anderen?«
»Nichts, was besonders interessant wäre. Die anderen sind noch bei der Vorführung.«
»Gut. Wir fahren jetzt zur Kirchengemeinde und sehen mal, ob wir da jemanden antreffen.«
Sonja steigt ein.
Von Westen über den halben Himmel wie mit dem Lineal gezogen eine schwarze Wolke. Fast wie ein Special Effect. Sieht ja unglaublich aus.
14 Uhr 16
Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Niemand kommt zum Vater denn durch mich.
Fünf Rahmen mit Bibelsprüchen, aber nur ein Kreuz im Büro, hätte man mehr erwarten können. Auch noch so ein kleines. Hier riecht es eigenartig, wahrscheinlich Weihrauch. Müsste mal lüften, der Gute.
Herr, mache mich zum Werkzeug deines Friedens.
Er nickt beim Telefonieren, hört die meiste Zeit zu, zwischendurch bestätigendes Brummen. Eine Evangelisation im nächsten Monat, das Honorar für den Redner muss noch ausgehandelt werden. Könnte der doch eigentlich für Gotteslohn machen.
Verabschiedung, er legt auf.
»Verzeihen Sie.« Kurzes Sammeln. »Ja, ich sagte Ihnen ja eben schon, dass ich mir das von Herrn Michels überhaupt nicht vorstellen kann. Er ist ein sehr wichtiges Mitglied dieser Gemeinde, der sein Leben nach seiner Berufung ganz in den Dienst des Herrn gestellt hat.«
Berufung? Klingt fast wie bei der Nationalmannschaft.
»Was heißt das genau?«
»Nun, er ist ein fleißiger, verantwortungsvoller Mensch seiner Familie gegenüber, der sehr viel arbeitet. Dennoch bringt er sich bei verschiedenen Projekten, wo es um den Dienst am Nächsten geht, in der Gemeinde nach Kräften ein.«
»Was sind das für Projekte?«
»Verstehen Sie mich nicht falsch, Herr...?«
»… Kirchenberg...«
»… ja, Kirchenberg, schöner Name. Muss ich zu dem allem etwas sagen? Wissen Sie, ich kann das alles gar nicht glauben, und das ist mir auch so wenig konkret, außerdem...«
»Um das abzukürzen, Herr Brehm, es geht hier um ein Ermittlungsverfahren in einem Mordfall. Wenn Sie nicht eng mit Herrn Michels verwandt sind, und wie ich das sehe, sind Sie das nicht, müssen Sie eine zeugenschaftliche Aussage machen, und die auch noch richtig. Sollten Sie etwas Falsches sagen, können Sie wegen uneidlicher Falschaussage belangt werden.«
Sonja sieht etwas erschrocken rüber. Zu heftig? Der geht einem aber auch auf den Geist mit seiner Art. Er schluckt.
»Außerdem, wenn ich den Satz beenden dürfte, bin ich natürlich nicht darüber informiert, was welches Mitglied unserer Gemeinde im Dienst Christi tut. Ich selbst bin mehr mit organisatorischen Dingen beschäftigt. Wir machen zum Beispiel des Öfteren eine Speisung der Armen und Bedürftigen. Ich weiß, dass Herr Michels, wenn seine Zeit es zulässt, hierbei häufiger zugegen ist.«
»Wie muss ich mir so etwas vorstellen?«
»Nun, es gibt mehr Bedürftige und weniger Betuchte, als wir uns das vorstellen. Nicht nur
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