Blutspur des Todes
geschossen worden. Der Bericht der Ballistiker kommt wahrscheinlich erst morgen.«
»Was wissen wir über die Kassiererin?« Grace hätte gerne gewusst, warum Jared es ausgerechnet auf diese junge Frau abgesehen hatte. Dass Jared der Täter war, stand für sie außer Frage.
»Sie heißt Tina Cervante«, erklärte Pakula. »Sie war dreiundzwanzig Jahre alt, allein stehend und lebte mit zwei Freundinnen im Westen von Omaha. Sie stammt aus Texas.
Ihre Familie lebt dort. Sie ist hergezogen, um aufs College zu gehen, brach das Studium aber ab und bekam diesen Job bei der Bank. Ich will nachher noch mit ihren Mitbewohnerinnen sprechen. Aber hier ist noch etwas Interessantes. Vor etwa einem Jahr bekam sie eine Anzeige wegen Fahrens unter Drogeneinfluss. Es war bereits ihre dritte Anzeige, eine ziemlich ernste Sache. Und nun dürfen Sie raten, wer ihr verdammter Anwalt war.«
Grace interessierte sich mehr für die Hände der Frau.
»Warten Sie einen Moment.« Sie schlug das Tuch zurück und betrachtete Tinas Zehen. »Sie hat doch wahrscheinlich mit den beiden anderen Mädchen zusammengewohnt, weil sie keine eigene Wohnung bezahlen konnte. Und trotzdem hat sie sich professionelle und vermutlich regelmäßige Maniküre und Pediküre geleistet?«
»Außerdem hat sie sich die Nase richten lassen.« Frank deutete auf eine winzige, kaum sichtbare Narbe, die Grace glatt entgangen wäre. »Das ist eine sehr gute Arbeit, nicht billig. Es wurde vermutlich vor sechs bis acht Monaten gemacht.«
»Dann hat sie ihre finanziellen Prioritäten wohl etwas durcheinander gebracht. Das greift bei den Kids heutzutage wie eine Epidemie um sich«, bemerkte Pakula, als spräche er aus leidvoller Erfahrung. Wahrscheinlich fühlte er sich an seine Töchter erinnert. »Vielleicht gab es jemand, der sie unterstützte oder sie aushielt. Aber mich interessiert vor allem, wie eine attraktive, rechtschaffene junge Frau wie Tina Cervante an einen so windigen Anwalt wie Max Kramer geraten ist.«
»Kramer war ihr Anwalt in dieser Strafsache?« Grace fragte sich, ob Pakula auf etwas Bestimmtes hinauswollte. Kramer hatte mit allen möglichen Fällen zu tun. Eine Verkehrsstrafsache im Zusammenhang mit einem Drogendelikt war nichts Ungewöhnliches.
»Es ist nicht meine Aufgabe, Urteile zu fällen«, unterbrach Frank sie, »aber ich frage mich, wie rechtschaffen eine junge Frau ist, die bereits drei Anklagen wegen Fahrens unter Drogeneinfluss am Hals hat. Außerdem« – er wies auf eine Edelstahlschale auf der Instrumentenablage – »war sie im zweiten Monat schwanger.«
36. Kapitel
9.00 Uhr
Platte River State Park
Die Übelkeit ließ langsam nach, nicht allerdings seine Panik. Während Jared und Charlie ihre Fluchtroute quer durch das Land planten, rasten Andrews Gedanken hin und her. In einer Küchenschublade lagen mehrere stumpfe Messer. Dann gab es einen Schürhaken für das Kaminfeuer, erinnerte er sich, doch er konnte ihn nirgends entdecken. Sonst fiel im nichts ein, womit er sich hätte wehren können. Als sich das Tageslicht in strahlendem Orange über den Baumwipfel hinter dem See ausbreitete und sogar in die dunklen Ecken der Hütte drang, musste er sich eingestehen, dass seine Lage hoffnungslos war.
Sein Blick verschwamm zeitweilig immer noch, doch dafür spürte er die Schmerzen in seiner Schulter kaum mehr.
Außerdem, was spielte es schon für eine Rolle, dass er seinen rechten Arm nicht gebrauchen konnte, wenn sich sein ganzer Körper lahm anfühlte.
Er wollte ausprobieren, ob er gehen konnte, und stellte die Füße auf den Boden. Noch bevor er sich aufrichten konnte, war Jared bei ihm und fuchtelte ihm mit der Waffe vor der Nase herum. Andrew fragte sich, warum sie ihn nicht einfach erledigten und seinem Albtraum ein Ende bereiteten.
Jared ließ sich ihm gegenüber in den Sessel fallen. Die Waffe steckte er in den Bund der Jeans – seiner Jeans. Dort wurde sie von einem Ledergürtel mit einem seltsamen Verschluss gehalten, auf den ein Wappen graviert war, das Andrew nicht kannte. Während er es noch anstarrte, merkte er plötzlich, dass Jared mit ihm redete.
»Das ist verdammt gut. Woher wissen Sie das alles über Mord?«
Erst da fiel Andrew auf, dass Jared sein letztes Buch in der Hand hielt, den Zeigefinger zwischen zwei Seiten, um eine bestimmte Stelle wiederzufinden. Er musste darin gelesen haben, als er sich im Schlafzimmer hingelegt hatte. Der Kerl las sein Buch. Großer Gott! Und jetzt wollte er anscheinend auch noch mit
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