Blutspur des Todes
einen Haufen Karten, nicht nur die von Nebraska«, erklärte Charlie eifrig. Ein kleiner Junge, der seinen Onkel beeindrucken wollte. Er griff in seinen Rucksack und holte ein Bündel Straßenkarten heraus. »Städte mit coolen Namen kreise ich ein. Eines Tages werde ich die alle besuchen, einfach so.« Er deutete mit dem Zeigefinger auf einen Kreis auf der ausgebreiteten Karte. »Princeton. Jede Wette, du wusstest nicht, dass es in Nebraska ein Princeton gibt. Ist das nicht cool, wenn ich Leuten sagen kann, dass ich in Princeton war?«
Jared ließ den Blick über die Karte wandern. Er deutete auf einen anderen Kreis und sagte: »Ich verstehe, was du meinst, Kleiner. Hier ist Stella. Du kannst dann auch erzählen, dass du die Nacht in Stella verbracht hast.« Er versetzte Charlie einen Stoß mit dem Ellbogen und lachte.
»In Stella,
versteht du?«
Melanie beobachtete die beiden und wollte nicht glauben, dass sie in dieser Lage lachen und scherzen konnten.
»Die Bullen suchen uns vermutlich auf dem Interstate«, fuhr Jared fort.
»Die glauben, wir hätten einem Farmer einen roten Pick-up geklaut«, erklärte Charlie mit breitem Grinsen. »Ich habe es in den Nachrichten gehört.«
»Tatsache? Das gibt uns ein bisschen Luft. Bis Colorado bleiben wir auf dem Highway 6. Sieht mir ganz so aus, als kämst du endlich durch einige deiner roten Städte, Kleiner.«
»Cool. Ich habe auch eine Karte von Colorado. Ich war noch nie in Colorado.«
Melanie nahm ihren Rucksack und drückte ihn an die Brust. Dass der angetrocknete Lehm in kleinen Brocken auf das Handtuch bröselte, das sie sich umgewickelt hatte, störte sie nicht. Sie wollte sich umziehen gehen, blieb dann aber stehen und beobachtete, wie die beiden Männer ihre Zukunft verplanten.
Keiner hatte sie gefragt, ob sie in dieses verdammte Colorado wollte. Die zwei hatten sie in diese fürchterliche Lage gebracht und schienen überhaupt nicht zu begreifen, wie tief sie in der Klemme steckten.
»Die haben gesagt, du hast vier Menschen umgebracht, Jared.« Ihre Stimme versagte fast. »Stimmt das? Vier Tote? So haben sie es in den Nachrichten gesagt. Alle aus nächster Nähe erschossen. Tot.«
»Vier?« wiederholte Jared und sah Charlie fragend an, der bestätigend nickte. »Soll das heißen, einer von den Scheißtypen lebt noch?«
35. Kapitel
8.32 Uhr
Gerichtsmedizin
Als Frank Irwin das Tuch wegzog und Grace die Leiche auf dem Stahltisch liegen sah, fiel ihr auf, dass die Frau kleiner wirkte, als sie sie in Erinnerung hatte. Das Blut war von ihrem Körper abgewaschen worden, und Grace konnte jetzt erkennen, in welchem Ausmaß der Schuss den Kieferknochen zerfetzt hatte. Die klaffende Wunde begann unter dem Kinn und zog sich fast bis zum Ohr hoch.
»Auf dieser Seite hat die Kugel sämtliche Zähne zerstört«, erklärte Frank und öffnete der Toten mit seinen behandschuhten Fingern den Mund. »Die Eintrittswunde ist hier unter dem Kinn. Dort ist die Kugel ausgetreten und hat einen Teil ihres Nackens weggerissen.«
»Eine ziemlich merkwürdige Art, jemanden zu erschießen, oder, Frank?«
»Pakula hat mir von Ihrer Theorie erzählt, Grace.«
»Und?«
»Das ist sieben Jahre her. Ich war damals noch nicht hier, aber ich habe von dem Fall gehört. Ich habe mir die Akten besorgt.« Er ging hinüber zur Leuchttafel, schaltete das Licht ein und klemmte zwei Röntgenaufnahmen nebeneinander fest.
Ohne dass er es erwähnen musste, wusste Grace, dass die Röntgenbilder Rebecca Moores zerstörten Kiefer zeigten.
Rebeccas Leiche war vor sieben Jahren in einem Graben nördlich des Dodge Park entdeckt worden – vergewaltigt, mit drei Stichwunden und einer Schussverletzung unter dem Kinn.
Jemand hatte den Körper in einen schwarzen Plastiksack gesteckt und im Graben entsorgt. Einer ihrer Kommilitonen, Danny Ramerez, hatte damals ausgesagt, er habe gesehen, dass sie am Tag ihres Verschwindens vor der Central High School zu Jared Barnett in den Wagen gestiegen war. Sieben Jahre später zog Danny Ramerez seine Aussage plötzlich zurück.
Eigenartig.
»Die Verletzungen sind ähnlich«, erklärte Frank. »Leider konnte ich in der Akte keine Angaben über das Kaliber finden. Und wie es scheint, können wir auch nicht sicher sagen, welche Art Waffe hier benutzt wurde, oder?«
»Wir haben eine Kugel aus der Wand hinter der toten Kassiererin geholt«, erwiderte Pakula. »Sie stammt aus einer .38er, aber mehr kann ich noch nicht sagen. Es sieht so aus, als wäre aus zwei Waffen
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