Blutspur des Todes
war.
Allerdings hatte er im letzten Jahr die ernüchternde Feststellung machen müssen, dass er diesen Zustand nicht nach Belieben an- und abschalten konnte. Wenn es so einfach wäre, würde er jetzt den Schalter umlegen und für eine Weile in eine Fantasiewelt abtauchen. War das nicht genau Tommys Vorwurf gewesen? Dass er zu viel in seinen Gedanken lebte und zu wenig in der realen Welt?
Wann hatte dieses Gespräch eigentlich stattgefunden? Es kam ihm vor, als läge es bereits Tage zurück, dass er mit Tommy auf der Veranda vor seiner Hütte gesessen hatte, und dabei war es erst gestern gewesen. Plötzlich ging ihm ein Licht auf. Die Information, dass sie mit seinem Saab unterwegs gewesen waren, musste von Tommy stammen. Bestimmt hatte er die Medien informiert. Vermutlich war er zur Hütte gefahren, um nach ihm zu sehen. Wie dumm, dass er nicht gleich daran gedacht hatte. Wenn Tommy mit dem Fall betraut war, gab es vielleicht eine Möglichkeit, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen. Fragte sich nur, was und wie?
»Gehen wir.« Jared stieß ihm gegen die Schulter, und der Schmerz schoss ihm den Arm hinab bis in die Fingerspitzen.
Mühsam unterdrückte er eine sichtbare Reaktion – er hatte sich vorgenommen, sich nichts anmerken zu lassen. Die Genugtuung, ihn leiden zu sehen, gönnte er diesem Mistkerl Jared nicht.
»Behalten Sie die Kappe und die Sonnenbrille auf«, herrschte Jared ihn an. »Und bleiben Sie dicht bei mir. Keine Hektik, wir lassen uns Zeit. Wenn Mel getankt hat, zahlen Sie alles mit Ihrer Kreditkarte. Die Abbuchung wird sie auf unsere Spur bringen, und es sieht dann so aus, als führen wir nach Süden.«
Jared händigte Andrew dessen Brieftasche aus, und erst jetzt fiel ihm wieder ein, dass er sie die ganze Zeit über gehabt hatte. Verdammt, konzentrier dich! Warum zum Teufel konnte er sich nicht konzentrieren? Wenn nur der pochende Kopfschmerz endlich nachlassen würde. Er musste die Spinnweben aus seinem Hirn fegen. Ja, genau so fühlte es sich an, als würden sich seine Gedanken ständig in einem feinen, klebrigen Netz verfangen.
»Haben Sie das kapiert, Kane?«
»Ja, hab ich«, erwiderte Andrew gerade noch rechtzeitig, um einem weiteren Schubs gegen seine verwundete Schulter zuvorzukommen.
»Und überlassen Sie das Reden mir. Sie halten Ihre verdammte Klappe.«
»Ich muss echt dringend pissen«, drängelte Charlie.
»Okay, okay, wir gehen ja schon.«
Alle vier Autotüren öffneten sich fast gleichzeitig. Andrew ließ sich Zeit und streckte sich übertrieben. Es tat gut, endlich wieder auf den Beinen zu stehen. Er nutzte den Moment, die Umgebung der Tankstelle in Augenschein zu nehmen. Er inspizierte jede Richtung und nahm jedes Detail wahr, inklusive des Zeitungsständers vor dem Laden. Auf dem
Omaha World Herald
prangte die Schlagzeile »Killer auf der Flucht«, und das
Lincoln Journal
titelte schlicht und ergreifend »Menschenjagd«.
Als er neben Jared auf den Shop zuging, eruierte Andrew seine Fluchtmöglichkeiten. Warum versetzte er Jared nicht einen heftigen Stoß und rannte davon? Er war in guter Verfassung, zumindest war er das vor dem Bruch seines Schlüsselbeins gewesen. Außerdem war er fast einen Kopf größer als Jared. Der war allerdings weitaus drahtiger. Trotz seiner pochenden Kopfschmerzen musste er seine Chancen nutzen, was hatte er denn zu verlieren?
Er warf einen Blick in die Seitenstraßen, die von einzelnen Häusern gesäumt waren. Hier bot sich bestimmt eine Möglichkeit, sich zu verstecken. Hinter dem Laden war ein Zaun, der vermutlich das ganze Grundstück einfasste. Der Weg auf der anderen Seite des Highways führte über den Parkplatz. Das war nicht gut. Aber die Häuser auf der anderen Straßenseite boten ihm die größere Chance.
Er musste Jared nur kräftig genug stoßen, damit er umfiel.
Vielleicht in den Zeitungsständer. Das könnte ihm genügend Zeit für die Flucht verschaffen. Er beobachtete Jared aus den Augenwinkeln. Sie waren jetzt auf gleicher Höhe. Noch ein paar Schritte. Sein Herz schlug schneller. Ein überraschender Stoß, er schaffte das.
In diesem Moment ging die Ladentür auf, und eine Frau mit einem Kleinkind kam heraus. Verdammt.
47. Kapitel
11.46 Uhr
Omaha
Tommy Pakula fand das Haus, nachdem er in etwa ein halbes Dutzend Sackgassen eingebogen und wieder hinausgefahren war. Er hasste diese neuen Wohnsiedlungen.
Da war ihm sein Haus im Süden der Stadt lieber, wo die Straßen gerade waren und man sich noch an Häuserblocks
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