Blutspur
verfolgten uns mit ihren Blicken, barmherzig und verschlossen. Ich erblickte Mausoleen, Steingräber, die baufällig von Efeu gesäumt da standen und verrieten, dass in ihnen die ranghöchsten Vampire ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten. Wasserspeier aus Felsenstein gehauen, saßen geifernd auf den Brunnen und die Grabsteine thronten in trübem Grau und rußigem Schwarz vor den frischen und alten Gräbern.
Hier also würden die zuletzt Getöteten bestattet werden. Jedenfalls, was den Körper, den nun wirklich toten Leib, betraf. Denn untot waren wir vorher schon. Ich war lange nicht mehr auf dem Waldfriedhof gewesen. Zuletzt, als vor ungefähr vier Jahren ein guter Freund von mir gefallen war. Caleb. Ich verscheuchte den Gedanken an ihn, verbannte, wie er gestorben war, denn auch heute würde wieder ein guter Freund für immer von mir gehen. Und ich hatte ihm nicht einmal Auf wiedersehen sagen können, weil ich zu dieser dämlichen, überflüssigen Verhandlung eingeladen war. Nach der Zeremonie musste ich unbedingt den Schwarzmarkt aufsuchen und hatte auch mittlerweile einen Plan gefasst. Ich konnte nicht länger nachdenken, sondern musste handeln. Rafael würde ich nichts erzählen können; ich kannte ihn. Er würde sicher ganz andere Seiten aufziehen, und dann wäre Virginia für immer verloren, auch wenn er es gut meinte.
Zwei Priester, in dunkelgrüne Roben gehüllt, führten den Trauerzug an, danach folgten die Sargträger, die die acht Reinen auf ihren Schultern trugen. Acht Särge, in jedem ein Körper, gezeichnet durch Kampf und Blut. Jeder von ihnen hatte eine eigene Persönlichkeit, Freunde, ein Leben gehabt. Und nun war alles fort gewischt – mit einem Stich ins Herz; gut platziert und ebenso tödlich. Ich sah Blakes Gesicht vor mir, sein Lachen, wenn wir zusammen im Heißen Mondschein was Trinken gegangen waren, wie er ständig davon sprach, im Orden aufzusteigen und nicht mehr nur als Sicherheitsmann arbeiten zu müssen. Das waren seine Träume, wie jeder sie besaß und den einen oder anderen hatte er verwirklichen wollen.
Rafael, Darius, Sebastian und Pierre schritten langsam hinter den Sargträgern her. Sie trugen weinrote Umhänge, die glänzend an ihren dunklen Anzügen klebten. Ihnen folgten ranghohe Persönlichkeiten, die in Wirtschaft und Politik vertreten waren und die auf Grund ihrer Nicht-Alterung sich wieder bald aus dem gesellschaftlichen Leben zurückziehen würden. Doch bis dahin genossen sie ihr hohes Ansehen und lebten den Status, der ihnen vorschwebte. Danach kam das gemeine Fußvolk. Freunde, Bekannte der Opfer und ich. Es mussten an die fünfzig Vampire sein, die ihnen das letzte Geleit gaben.
Meine Stiefel wogen schwer, während ich der Karawane der Toten folgte.
An den ausgehobenen Gräbern standen bereits die Geiger bereit, die mit ihrer Melodie der Seele behilflich waren, in das unendliche Dunkel des Himmels hinaufzusteigen. Das Wetter passte zu der Stimmung, die allseits auf Friedhöfen herrschte. Ständig schob sich Virginias Gesicht in mein Blickfeld, verfing sich in meinen Gedanken und vernebelte mir die Sicht. Wenn ich gekonnt hätte, wie ich wollte, wäre ich schon längst bei den Dunklen und hätte mich ihnen ohne zu zögern angeschlossen.
Doch irgendetwas hielt mich zurück, um wirklich alle Optionen, die in Frage kamen, auszuloten. Vielleicht hatte ich sogar etwas dazugelernt.
Der Trauerzug kam zum Stillstand. Die vier Ratsmitglieder stellten sich neben die Priester und die Geiger blickten mit ihren Instrumenten beflissen zu Boden, um den Toten zu huldigen. Erst, wenn das Ritual und die Ansprache abgeschlossen war, würden sie die Melodie spielen, die ihre magische Wirkung entfalten würde.
Nachdem die Hexe, die zu ihrer Zeit den Fluch auf Frederick, der ihre Tochter schändete, gelegt hatte, war aus ihm ein Untoter geworden, der unwissentlich die Welt veränderte. Sein Bruder Hallun, den keine Schuld traf, hatte das gleiche Schicksal ereilt, nur dass er zu einem reinen Vampir wurde. Er bemerkte bereits damals seine Fähigkeiten und schrieb sein Vermächtnis – die Geschichte des Ordens – ausführlich auf und vermittelte somit das Wissen, das er besaß, an die weiteren Generationen unseres Volkes. Niemand wusste, wie es sich verhielt, dass der Ritus, der stets gleich abgehalten wurde, sich so gestaltet hatte. All das stand in der jahrhundertealten Überlieferung.
Man hatte dunkle Planen auf Pfeilern drapiert, um den Regen von
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