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Blutspuren

Blutspuren

Titel: Blutspuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Girod
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inneren Bedingungen eines Lebens in der Abgeschlossenheit des Strafvollzuges zu akzeptieren. Schwermut und Selbstmordgedanken plagen ihn ebenso wie die Häme seiner Mitgefangenen, einen ehemaligen Polizisten nun zu ihresgleichen zu zählen. Doch nach einigen Monaten der Gewöhnung erwacht sein altes Geltungsbestreben von neuem. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit singt er lauthals revolutionäre Lieder aus dem Spanienkrieg und Kampflieder der SED. In den obligatorischen politischen Schulungen der Gefangenen ist er zum Wohlwollen seiner Bewacher ein linienkonformer Agitator und stellt sich als überzeugter Kommunist dar. Er strebt ein Wiederaufnahmeverfahren an und bemüht sich mit einer phantastischen Argumentation um Aufmerksamkeit: Trotz seines Geständnisses, niemals sei er ein Mörder! Die Tötung des Mädchens hätte auch keinen sexuellen Hintergrund, sondern sei Folge eines unglücklichen Zufalls. In Wirklichkeit wäre er nämlich Agent einer Westberliner Geheimdienstzentrale. Er habe am 15. Dezember 1960 in der Nähe des Waldbades einen Kurier erwartet. Dessen Fahrzeug sei bedauerlicherweise mit dem Mädchen kollidiert, das sich gerade auf dem Nachhauseweg befand. Um den Kurier zu schützen habe er die ganze Sache auf sich genommen und den tödlichen Unfall als Mord kaschiert …
    Vergeblich! Hechtmann findet nirgends ein offenes Ohr für seine unglaubliche Geschichte und sein vermessenes Wiederaufnahmebegehren.
    Im Jahre 1978 wird er wegen eines chronischen, inoperablen Rückenleidens auf Bewährung in die Freiheit entlassen. Doch zurück nach Schmiedeberg zieht es ihn nicht mehr. Die staatlichen Organe weisen ihm in einer fernen Stadt Arbeit und Wohnung zu. Unbestätigten Meldungen zufolge soll er bis zu seinem Tode 1989 ein unauffälliges Leben geführt haben.
    Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012

Chronik eines gemeinschaftlichen Mordes
(Aktenzeichen BI 3/69 Bezirksstaatsanwalt Erfurt)
    Als wenige Monate vor der Kapitulation Hitlerdeutschlands die Truppen der Roten Armee aus Richtung Ostpreußen unaufhaltsam gegen Berlin vorrücken, eilt ihnen der schaudererregende Ruf nach Rache an der deutschen Bevölkerung voraus. In panischer Angst vor möglichen Greueltaten verlassen deshalb Millionen Menschen aus den Gebieten jenseits von Oder und Neiße Haus und Hof. Nur mit dem Notdürftigsten ausgestattet, schließen sie sich den endlosen Trecks gen Westen an, einer ungewissen Zukunft entgegen. Hunger, Kälte, Krankheit und Tod sind ihre Gefährten.
    In einem dieser Flüchtlingsströme befindet sich ein blaßgesichtiges, strohblondes 13jähriges Mädchen. Rosi. In ihrer Begleitung die bei einem Luftangriff verletzte Mutter, die sich nur mühsam mit Hilfe von Krücken fortbewegen kann. Einen Vater gibt es längst nicht mehr: gefallen an der Ostfront, sein Leichnam irgendwo verscharrt.
    Die letzten Jahre gelten kaum einer sauberen ethisch-moralischen Erziehung, zu der die Mutter ohnehin nicht fähig wäre. Schulische Bildung spielt in den vielen Monaten unfreiwilliger Wanderschaft und Heimatlosigkeit eine völlig untergeordnete Rolle. Es geht vielmehr ausschließlich um die Strategie nackten Überlebens. Die traumatischen Erlebnisse dieser Zeit brennen sich in Rosis Seele ein, erzeugen Verbitterung, verbiegen ihren ungefestigten Charakter zu Egoismus, Unaufrichtigkeit, Verschlagenheit und Mißtrauen – Eigenschaften, die sie zeitlebens beherrschen werden.
    Da der Gesundheitszustand der Mutter besorgniserregende Ausmaße erreicht, entschließen sich die beiden zu einem baldigen Ende der Odyssee. So gelangen sie schließlich nach Weimar – in die berühmte Stadt der Künste. Es gelingt ihnen, bei einem Bauern in Kromdorf ein bescheidenes Zimmer zur Untermiete zu beziehen. Eine Zeitlang verdingt sich die Mutter mit Näharbeiten, während Rosi widerwillig die Schulbank drückt.
    Dann stirbt die Mutter. Glücklicherweise, wenn auch mit Ach und Krach, hat Rosi das Ziel der Grundschule erreicht. Doch für eine Lehre fehlt die Lust. Jetzt will sie teilhaben am beginnenden Leben. Lieber bestreitet sie ihren Lebensunterhalt mit allerlei Hilfsarbeiten und nutzt jede Gelegenheit für oberflächliche Minne und Müßiggang.
    Im Jahre 1949, Rosi ist gerade 19 Jahre alt, lernt sie auf einem Jahrmarkt den zwei Jahre älteren Karl Hempel kennen: ein mittelgroßer, muskulöser Pykniker mit glatt nach hinten gekämmtem, pomadisiertem schwarzen Haar, in Weimar gebürtig und von einfacher

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