Blutspuren
Gerätebaracke, trägt das tote Mädchen hinein und legt es zwischen den Holmen des in der rechten Ecke stehenden Barren ab. Strick und Draht dienen als straffe Sicherheitsdrosselung. Ehe er den Liegestuhl auf das tote Mädchen legt, umwickelt er dessen Gesicht mit einem Halstuch. Die Tasche versteckt er hinter der Leiche. Vorher hat er sie geleert, um den Inhalt anderswo zu vernichten. Die 12 Mark Bargeld, die das Mädchen bei sich hatte, verschwinden in seiner eigenen Geldbörse. Er verschließt die Barackentür, fährt er nach Hause, um kurz darauf seelenruhig und entspannt die Gattin ins Kino zu begleiten. Als der besorgte Vater der Getöteten am späten Abend bei Hechtmann erscheint, um eine Vermißtenanzeige aufzugeben, tippt er gerade seine überfälligen Berichte.
Wenn er in der Folgezeit in der Vermißtensache Erkundigungen einholt und Leute befragt, streut er nahezu unauffällig, aber nachhaltig Fragen über einen ortsbekannten, unbescholtenen Fleischermeister ein. Damit erweckt er den Eindruck, die Polizei verfolge bereits eine heiße Fährte.
Nach dem Geständnis des Mörders sind die Zusatzkräfte in Bockelts Mannschaft wieder entbehrlich und werden abgezogen. Auch Lorenz und Grimm reisen wieder ab. Für sie ist der Fall damit erledigt. Die Weiterbearbeitung obliegt nun allein der Dresdener Mordkommission. Sie schließt aber die Aktendeckel erst einige Wochen später. Bis dahin sind noch umfangreiche personenbezogene Ermittlungen erforderlich, denn Hechtmanns Persönlichkeit muß aufgeklärt und wichtige Etappen seines bisherigen Lebenswegs nachgezeichnet werden:
Walter Hechtmann, Jahrgang 1928, stammt aus einer biederen Arbeiterfamilie. Die Volksschule durchlief er unauffällig mit mittelmäßigen Leistungen. Danach nahm er eine Lehre als Metzger auf. Mit 16 Jahren legte er sich aus banalem Grund mit einer Hausangestellten seines Lehrherrn so heftig an, daß er sich kurzerhand entschloß, sie mit Strychnin, einem hochtoxischen Alkaloid aus dem Samen der Brechnuß, zu töten. Doch der Versuch mißlang und die Sache kam heraus. Flugs brach er die Lehre ab und meldete sich freiwillig an die Ostfront, was soviel viel wie Strafbefreiung bedeutete. Das Glück war auf seiner Seite, denn er überstand die große Metzelei ohne äußeren Schaden. Danach schuftete er gut bezahlt bei der Wismut unter Tage und förderte Uranerz für die sowjetische Aktiengesellschaft. Er wurde strammes Mitglied der SED und erhielt manches Lob für gute Arbeit und Linientreue. 1951 heiratete er eine Arbeiterin aus seinem Betrieb, die er unbedacht geschwängert hatte. Die Ehe zerbrach nach einem reichlichen Jahr, zurück blieben nur lästige Unterhaltsverpflichtungen. Er bewarb sich für eine Tätigkeit bei der VP. Mit Erfolg, trotz seiner eigenwilligen Biographie. Für die nächsten Monate konnte er nun in einer Kaserne für Dienstanfänger untertauchen. Kind der Arbeiterklasse zu sein, bei der Wismut gearbeitet zu haben und durch Parteiabzeichen politische Zuverlässigkeit zu demonstrieren, das waren die besten Voraussetzungen für eine schnelle Karriere. Egoistisches Vorwärtsstreben, Rücksichtslosigkeit und ein fast ungesunder Ehrgeiz, stets eine gute Arbeit zu leisten, waren seine markantesten Eigenschaften. So erklomm er alsbald den höchsten Wachtmeisterdienstgrad, avancierte zum Abschnittsbevollmächtigten in Schmiedeberg und bezog in Falkenhain eine geräumige Dienstwohnung. Er lernte eine neue Frau kennen, der er 1956 das Jawort gab.
Allerdings: Als sich der Verdacht seiner Täterschaft bestätigt, reicht die entsetzte Gattin umgehend die Scheidung ein.
Vor der Anklageerhebung wird Hechtmann psychiatrisch begutachtet. Das Ergebnis ist eindeutig: Der Beschuldigte sei »eine gemütsarme, brutale, egozentrische Persönlichkeit mit starkem Geltungsdrang und Neigung zu Affektausbrüchen, und strafrechtlich voll verantwortlich«.
Freundlicherweise bleibt Hechtmann auch vor Gericht bei seinem Bekenntnis, das Mädchen nach einem gescheiterten Vergewaltigungsversuch getötet zu haben, um die Tat mit dem Vortäuschen eines Raubmotivs zu verschleiern und somit nicht ins Fadenkreuz der Ermittler zu geraten. Er ist aussagewillig, betont aber bei jeder Gelegenheit, auch künftig für den Sozialismus einzutreten und der SED immer treu ergeben zu sein. Doch die Richter zeigen sich wenig beeindruckt, kennen keine Milde. Ihr Urteil lautet: lebenslanges Zuchthaus.
Walter Hechtmann benötigt viel Zeit, um die unabwendbaren äußeren und
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