Blutspuren
den Kreis der Eingeweihten zu erweitern. Dann könnten nämlich die verschiedenen Möglichkeiten der Tötung und Verschleierung kollektiv erörtert werden. So geschieht es auch.
Ab Frühjahr 1968 finden unter ihrer Leitung mehrmals höchst vertrauliche Beratungen statt, an denen ihr Geliebter, Helmut Hellriegel, die Freundin ihrer ältesten Tochter, Britta Obgartel, aber auch ihre beiden minderjährigen Söhne Sebastian und Uli teilnehmen. Stück für Stück zimmert dieser familiäre Geheimbund an dem tödlichen Spektakel. Schließlich kommt man überein, Karl Hempel zu erdrosseln, ihn anschließend auf dem Oberboden aufzuhängen und die Situation so herzurichten, daß ein Selbstmord angenommen werden muß.
Rosi Hempels Dramaturgie sieht folgenden Ablauf vor: Bevor ihr Gatte von der Arbeit heimgekehrt ist, soll Hellriegel bereits mit einer vorbereiteten Schlinge auf dem Oberboden warten. Während dessen halten sich Sebastian und Uli im Dachgeschoß in sicherer Deckung bereit. Wenn der Vater dann zu Hause ist, werden absichtliche Geräusche vom Oberboden seinen Argwohn wecken und ihn zu einer Kontrolle veranlassen. Und weil er dazu die im Dachgeschoß stehende Leiter benutzen muß, bietet sich für Hellriegel eine Möglichkeit zu schnellem Handeln. Sobald nämlich Karl Hempel durch die Bodenluke späht, kann er ihm blitzschnell die Schlinge um den Hals werfen und den Strick an einem Balken fixieren, während unterhalb der Luke Sebastian und Uli flugs die Leiter wegziehen. Auf diese Weise würde Hempels Körper frei über dem Fußboden hängen und jeglichen Selbstrettungsversuch vereiteln. Rosi Hempel und Britta Obgartel wären dann für das Kaschieren der Szene verantwortlich.
Inzwischen ist es Anfang Juli. Rosis Plan trifft auf die ungeteilte Zustimmung der verschworenen Gemeinschaft. Jetzt erwarten alle den entscheidenden Abend. Vorher erhält Helmut Hellriegel einen Strick, den er von nun an ständig bei sich führt.
Ende Juli bietet sich eine günstige Gelegenheit zur Realisierung des Vorhabens. Eigentlich läuft alles so ab, wie besprochen. Doch Helmut Hellriegel kann den Strick nicht um den Hals des alten Hempel legen. Sebastian hat nämlich in seinem Versteck ein Geräusch gemacht, das den Vater ablenkt. Bereits auf der Leiter stehend, wendet er den Kopf zur Seite und klettert zurück. Helmut muß alle Mühe aufwenden, sich klammheimlich zurückzuziehen. Karl Hempel aber befindet sich im Zustand naiver Arglosigkeit.
Rosi ist nun vorsichtig geworden, befürchtet, trotz der guten Vorbereitung könnte etwas schiefgehen. Um letzte Bedenken zu zerstreuen, entschließt sie sich zu mehreren praktischen Übungen: Alle Beteiligten müssen die vorgeschriebene Position einnehmen, die Länge des Strangwerkzeugs wird angepaßt, Sebastian und Uli müssen zeigen, wie gut sie sich verstecken und wie schnell sie die Leiter wegziehen können. Doch damit nicht genug. Um ganz sicher zu gehen, verlangt Rosi Anfang August eine wirklichkeitsnahe Generalprobe der Hinrichtung ihres überdrüssigen Ehemanns. Sie sorgt dafür, daß die anderen Kinder in dieser Zeit nicht zu Hause sind. Niemand soll Zeuge des makabren Spektakels werden. Diesmal muß Uli die Rolle des Vaters einnehmen. Alles klappt, wie mehrmals geprobt. Aber: Als dem Jungen die Schlinge um den Hals gelegt und die Leiter unter ihm weggezogen wird, gerät er beinahe selbst in eine lebensgefährliche Situation. Dieser Zwischenfall jedoch bestärkt die Beteiligten, sich ihrer Sache nun bombensicher sein zu können.
Am Abend des 9. August 1968 läuft der Countdown: Es ist gegen 20.00 Uhr, als das Abendessen in der großen Familie beendet wird. Rosi dämpft jede aufkeimende Streitlust ihres Gatten, den sie mit diabolischer Heuchelei sogar zu einem Spaziergang durch das Kirschbachtal überreden kann. Und genau das ist ihre Absicht.
»Wir sind in zwei Stunden zurück!« gibt sie der Kindermeute zu verstehen. Und wie üblich, müssen die großen ihre kleinen Geschwister zu Bett bringen. Sebastian, mit allen pädagogischen Vollmachten ausgestattet, sorgt aus triftigem Grund für schnelle Ordnung und Ruhe im Haus.
Unterdessen promeniert das Ehepaar Hempel in scheinbar friedvoller Eintracht durch den warmen Augustabend. Rosis überaus freundliches Gebaren hält den Gatten in absoluter Ahnungslosigkeit. Doch in ihr lauert die abscheuliche Hoffnung, daß alles bald ein Ende hat. Die Knaben Uli und Sebastian hingegen halten sich zu Hause bereit und warten, bis Britta Obgartel
Weitere Kostenlose Bücher