Blutspuren
Junge die Mutter fragend und unsicher an. Diese pariert auf der Stelle: »Nein, nichts, weder noch.«
Das Gesicht des Dicken verfinstert sich. Er schickt einen strafenden Blick zu Rosi und fragt den Jungen erneut: »Und was hast du an diesem Abend gemacht?«
Sebastian druckst einen Moment lang herum und blickt hilfesuchend seine Mutter an. Wieder spricht sie für ihn: »Der Junge war die ganze Zeit …«
Da fällt ihr der Typ mit den Sommersprossen schroff und ungehalten ins Wort: »Halten Sie doch mal die Klappe, der Junge kann doch wohl selbst antworten!«
Rosi gibt sich geschlagen und schweigt. Der Dicke klopft Sebastian kumpelhaft auf die Schulter und schiebt ihn sanft vor sich her nach draußen: »Komm, laß uns zur Dienststelle fahren, da können wir in aller Ruhe reden.«
Wieder blickt der Junge beschwörend seine Mutter an. Sie sagt nichts, nickt ihm nur wortlos zu. Sebastian deutet diese Geste, als würde sie sagen: Geh nur, wir haben ja alles besprochen! Dann fragt er den Dicken ängstlich: »Dauert’s lange?«
Doch weder er noch der sommersprossige Typ antworten darauf. Einer von beiden sagt nur: »Keine Bange, wir bringen dich zurück!«
Die Kriminalisten kennen Sebastian Hempel ziemlich gut. Seine kleine Ganovenbiographie füllt bereits einige Seiten der dicken Akte beim Referat Jugendhilfe der Stadt Weimar: Schlechte Kinderstube, überaus miese schulische Leistungen und permanente Rüpeleien brachten die Lehrer an den Rand des Wahnsinns. In ihrer Verzweiflung weigerten sie sich schließlich, ihn weiter zu unterrichten. So flog er vor Abschluß der 7. Klasse in hohem Bogen von der Schule. Um sich nicht des Tatbestands der Asozialität schuldig zu machen, nahm er widerwillig eine Hilfstätigkeit auf dem Bau an. Doch sein Polier stimmt Hände ringend auch schon in das altbekannte Klagelied ein.
Anfangs beschreibt Sebastian die Vorgänge am Abend des 9. August streng nach dem Drehbuch seiner Mutter. Doch die Sätze, die er von sich gibt, sind stereotyp, klingen auswendig gelernt. Er kann auch bestimmte Details über den Ablauf des fraglichen Abends in keinen logischen Zusammenhang bringen. Die gelernten Aushorcher der Kriminalpolizei wittern deshalb sehr schnell, daß er mehr über die Umstände des Verschwindens seines Vaters wissen könnte, als er vorgibt. Ein Dauerfeuer von Fragen und Vorhalten sind die Folge. Sebastians dünnes Nervenkostüm hält dem nicht mehr stand. Widersprüche tun sich auf. Vorwürfe, nicht bei der Wahrheit zu bleiben, prasseln auf ihn nieder. Die Trümmer des zusammenbrechenden Lügengebäudes lasten zuletzt derart auf ihm, daß er unter Tränen gesteht, er habe seinen Vater in der Nacht zum 10. August mit einem Strick erdrosselt und den Leichnam im Gesträuch am Lottenbach, abseits der Straße nach Nohra, verscharrt. Und immer wieder beschwört er, die Tat ganz allein begangen zu haben.
Noch am gleichen Abend muß der Junge, eskortiert von einer ansehnlichen Schar Uniformierter, die Kriminalpolizei zu dem Ort führen, an dem er den toten Vater verscharrt haben will. Tatsächlich wird dort der bereits teilweise skelettierte Leichnam gefunden. Mit diesem Ermittlungsstand ist die Zuständigkeitsgrenze der Kriminalisten im VP-Kreisamt erreicht: Der Fall muß zur weiteren Bearbeitung an die zuständige Mordkommission in Erfurt übergeben werden, die flugs zu diesem Zweck im VP-Kreisamt einstweiliges Quartier bezieht.
Sebastian Hempels Eingeständnis, das Ergebnis der Fundortuntersuchung und gerichtsmedizinischen Sektion sind hinreichende Gründe, gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der vorsätzlichen Tötung einzuleiten und Haftbefehl zu erlassen.
Rosi Hempel nimmt die Inhaftierung ihres Sohnes mit geheuchelter Fassungslosigkeit und Bestürzung zur Kenntnis. Insgeheim aber ist sie beruhigt, daß er sich offenbar an die geheime Abmachung hält.
Drei Wochen vergehen. Inzwischen erfolgte die staatsanwaltliche Freigabe der sterblichen Überreste Karl Hempels. Im engsten Kreise der Großfamilie und einiger Neugieriger aus dem Wohngebiet wurden sie bestattet, freilich unter den wachsamen Augen des Gesetzes.
Sebastian, der der Zeremonie fernbleiben mußte, bleibt immer noch hartnäckig bei seiner Behauptung, den Mord an seinem Vater ebenso allein bewerkstelligt zu haben wie die Beseitigung des Leichnams. Doch die Untersucher argwöhnen, und das mit gutem Recht. Als Sebastian mit einer, dem Körpergewicht seines Vaters entsprechenden, Attrappe vorführen
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