Blutspuren
nahm das defekte Radio mit nach Hause …
Heinz Klausdorf verhält sich in den polizeilichen Vernehmungen aussagewillig und einsichtig. Er hat sich schnell damit abgefunden, daß er für viele Jahre hinter Gitter muß. Ihm ist klar, seine Lage nur dadurch verbessern zu können, wenn er bei der Wahrheit bleibt. Als ihm allerdings in der Vernehmung vorgehalten wird, die Tötung der Frau Schäfer längere Zeit geplant zu haben, wehrt er sich hartnäckig gegen diesen Vorwurf. Unbeirrbar bleibt er dabei, daß ihm der Gedanke, Frau Schäfer zu töten, erst in dem Augenblick gekommen sei, als sie rücklings zwischen den Büschen lag. Doch die Ermittler lassen nicht locker und konfrontieren ihn wieder mit der alten Landkarte aus seiner Wohnung: »Das Kreuz zeigt doch, daß Sie die Leiche zum Schuttplatz bringen wollten. Das beweist Planung. Daraus folgt, es geht nicht um Totschlag, sondern Mord!«
Klausdorf befindet sich in einer verzweifelten Lage. Er fühlt sich in diesem Punkt völlig unschuldig und beteuert: »Glauben Sie mir doch, ich kenne das Kreuz nicht, es ist nicht von mir!«
»Woher haben Sie das Meßtischblatt eigentlich?« will man von ihm wissen. Wenigstens diese Frage kann er glaubhaft beantworten: »Als mein Vater gestorben war, haben mir meine Brüder eine Kommode gebracht. Da war die Karte drin. Ich habe sie, so wie sie war, drin liegenlassen und nie auseinandergefaltet. Hat mich einfach nicht interessiert!«
Klausdorfs Beharrlichkeit macht nun auch die Kriminalisten sprachlos. Sie brechen ein weiteres Gespräch über dieses Thema ab. Doch die Berufsskeptiker wollen Genaueres wissen. Objektive Fakten müssen her. Ein Schriftsachverständiger wird konsultiert, um die Frage zu beantworten, ob sich feststellen ließe, wann die Markierung auf der Karte vorgenommen wurde. »Im Prinzip ja, aber bei der geringen Spurenmenge habe ich meine Zweifel«, ist seine salomonische Antwort. Da er keine physikalisch-chemische Analysen vornimmt und sich sein Arbeitsgebiet darauf beschränkt, verdächtige Personen als Urheber von Handschriften festzustellen, verweist er die Männer der MUK an einen Berliner Spezialisten für Dokumentenuntersuchung. Dieser ist auch bereit, gibt aber zu bedenken, daß er für die Bestimmung des Tintenalters ein winziges Stück der Markierung aus der Karte herausschneiden müsse. Kein Problem, die kleine Beschädigung steht in keinem Verhältnis zum erwarteten Resultat.
Vor allem wenn der Verdacht von Fälschungen oder Verfälschungen von Schriftstücken und Unterschriften besteht, hat die Kriminalistik zwei grundlegende Aufgaben zu bewältigen. Zum einen geht es um die Untersuchung von sogenannten Schriftträgern wie z. B. Pässen, Urkunden, Rechnungen, Schecks, Wertpapieren, zum anderen um die direkte und indirekte Altersbestimmung von Schreibmitteln wie z. B. eisenhaltigen Tinten, Blauholztinten, Farbstofftinten, Kugelschreiberpasten, Tuschen, Farben von Stempeln, Faserschreibern, Blei- und Buntstiften.
Im Vordergrund stehen dabei mikroskopische, meßtechnische, chemische und physikalische Verfahren wie Tüpfelreaktionen, Dünnschicht- und Papierchromatographie, Untersuchung im sichtbaren, ultraroten und ultravioletten Wellenlängenbereich.
Vereinfacht ausgedrückt: Die im Fall Klausdorf angewandte Methode der Tintenaltersbestimmung bezog sich auf eine chemische Darstellung des Sulfat- bzw. Chloridbildes. Ihr liegt zu Grunde, daß die in bestimmten Tinten vorhandenen Sulfatbzw. Chloridionen über Jahre hinweg unsichtbar in die Umgebung des Schriftzuges diffundieren. An Hand des Auswanderungsgrades läßt sich das Alter der Tinte schätzen. Die erlangten Schätzwerte können dann Einfluß auf die Zielgenauigkeit und Effektivität der nachfolgenden kriminalistischen Ermittlungen ausüben.
In der Praxis der DDR-Sicherheitsorgane spielte die Dokumentenuntersuchung eine nicht unerhebliche Rolle. Abgesehen von Straftaten der allgemeinen Kriminalität und der Klärung zivilrechtlicher Angelegenheiten boten insbesondere die völlig überzogenen, oft beliebig auslegbaren politischen Straftatbestände innerhalb der »Verbrechen gegen die DDR« und der »Straftaten gegen die staatliche Ordnung«, dem Ministerium für Staatssicherheit auch in dieser Hinsicht ein reichhaltiges Betätigungsfeld.
Tage vergehen. Dann liegt das Ergebnis des Gutachtens vor. Doch die Männer der Mordkommission sind völlig perplex: Das Kreuz auf dem Meßtischblatt ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
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