Blutspuren
unangenehme Einsätze zur Genüge. Sie können dabei schnell zwischen die Fronten der wütenden Eheleute geraten. Oft wirkt bereits das bloße Erscheinen der Staatsmacht so beruhigend auf die erhitzten Gemüter, daß der eheliche Frieden schnell zurückkehrt. Und so rechnen die Polizisten insgeheim damit, daß sich bei ihrem Eintreffen die Situation längst beruhigt hat. Doch zu allem Übel ist dem nicht so: Vor der offenen Wohnungstür der Frau Stutzbach warten nämlich die verängstigten Kinder und die Nachbarin, die um polizeiliche Hilfe bat.
»Hören Sie den Krach da drin?« meint diese zu den Uniformierten.
»Nun mal sachte. Wir werden das gleich haben«, sind sich die Männer sicher und betreten die Wohnung. Tatsächlich: Aus dem Wohnzimmer dringt das wütende Schnauben eines Mannes, der undeutliche Worte von sich gibt. Einer der Polizisten drückt die Klinke der Zimmertür nieder. Vergeblich: Von innen verschlossen. Er klopft an die Tür und fordert mit energischer Stimme: »Herr Stutzbach, hier ist die Volkspolizei. Öffnen Sie die Tür!«
Normalerweise wäre es für die Polizisten eine Leichtigkeit, die Tür gewaltsam zu öffnen. Doch sie wollen sich weder einen Hausfriedensbruch noch eine Sachbeschädigung vorwerfen lassen. Dann hätten sie womöglich nicht nur beide Streithähne, sondern auch das Gesetz gegen sich. Deshalb beschränken sie sich auf weitere Klopfversuche. Ständig wiederholen sie ihre Aufforderung: »Herr Stutzbach, öffnen Sie die Tür!«
Mehrere Minuten dauert diese sinnlose Aktion. Immer noch dringt das undeutliche Brabbeln des Mannes durch die Tür. Die Uniformierten kommen sich bereits ziemlich hereingelegt und ratlos vor. Dann ist es plötzlich still im Wohnzimmer.
»Vielleicht hat er Ruhe gegeben«, meint der eine. Der andere lauscht noch einmal an der Tür, will sich vergewissern und ruft: »Alles in Ordnung da drin?«
Und zu ihrer Überraschung wird plötzlich die Tür aufgeschlossen. Doch was sie jetzt erblicken, macht sie total fassungslos: In der Türöffnung steht ein etwa 30jähriger, mittelgroßer, muskulöser Mann mit dunkler Brille. Sein Mund ist blutverschmiert. Auch am Körper überall Blut. Seelenruhig pafft er eine Zigarette und grinst wie irrsinnig die Polizisten an. Noch ehe sie sich gefangen haben, zeigt der Mann mit dem ausgestreckten Zeigefinger in das Innere des Wohnzimmers und meint gelassen: »Da liegt sie, mausetot. Ich habe sie gerade seziert, aber schlechte Arbeit geleistet, kein richtiges Werkzeug gehabt.«
Er macht eine kurze Pause, um einen tiefen Zug aus der Zigarette zu machen und ergänzt: »Ich bin Sektionsgehilfe.«
Die Polizisten erbleichen, wagen nur einen flüchtigen Blick in das Zimmer. Tatsächlich: Auf dem Fußboden liegt eine nackte Frau mit einer weit klaffenden Wunde am Hals: Die Kehle ist durchgeschnitten. Auch ihr Leib ist fürchterlich zugerichtet. Überall Blut. Tisch und Stühle sind umgestoßen, Scherben des Kaffeegeschirrs auf dem Fußboden. Das alles sind die stummen Zeugen eines heftigen Kampfes. Es dauert einige Augenblicke, bis die Beamten ihre Fassung zurückgewonnen haben. Auch die Nachbarin ist von dem Anblick schockiert. Sie hält ihre Hände schützend vor die Kinder und verläßt mit ihnen den gräßlichen Ort: »Ich bringe sie zu ihrer Oma, die wohnt gleich um die Ecke.«
Der grinsende Mann wird aufgefordert, sich auf einen Stuhl zu setzen. Gehorsam wie ein Rekrut führt er den Befehl aus. Während einer der Polizisten inzwischen zum Funkwagen eilt, um die Kriminalpolizei anzufordern, bewacht der andere, die Pistole im Anschlag, den wie geistesabwesend dreinblickenden Mann. Der aber sagt plötzlich zu seinem Aufpasser, als ginge es um ganz nebensächliche Dinge: »Ich habe noch zwei seziert. Die sind auch mausetot, sehen aber besser aus. Das hier ist Pfuscharbeit. Ich hatte keinen richtigen Tisch, kein Blutablauf, kein richtiges Gerät …«
»Wen haben Sie denn noch seziert?« fragt der Polizist zaghaft.
»Erstens: Hannelore Schneider, wohnt Linienstraße, Ecke Auguststraße in Mitte. Zweitens: Brigitte Köhler, Kiefholzstraße 304, Treptow«, antwortet der Mann auf dem Stuhl sachlich wie ein Buchhalter.
Der Polizist lächelt ungläubig, fast mitleidig, vermutet, diese Selbstbezichtigung sei dem verwirrten Geist des Mannes geschuldet. Vorsorglich notiert er aber die Daten. Gewiß wird die Kriminalpolizei die Angelegenheit überprüfen, vielleicht ist doch etwas dran.
Eine Viertelstunde später: Kriminalisten
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