Blutstein
Stockholm hatte ihnen
schon offenbart, dass Ally bald nur noch hell und dunkel werde unterscheiden
können und in weniger als einem Jahr wahrscheinlich vollkommen blind sein
würde.
Vendela hatte ihn ungläubig angestarrt.
»Und es gibt nichts, was wir dagegen tun können?«
»Doch ... selbstverständlich, diese Option haben wir bei so alten
Hunden natürlich immer. Und es ist vollkommen schmerzfrei.«
Als aber der Tierarzt erzählte, wie die Prozedur des Einschläferns
vollzogen wurde, hatte Vendela Ally geschnappt und war aus der Praxis geflohen.
Über zwanzig Servietten benötigte Max, um das Auto einigermaßen
sauber zu bekommen. Er goss das Wasser über die Motorhaube, trocknete es mit
einer Serviette ab und warf diese dann hinter sich in den Straßengraben, eine
nach der anderen.
Vendela beobachtete, wie die blutgetränkten Servietten durch die
Luft flogen und im Graben landeten. Sie würden wahrscheinlich den ganzen
Frühling und Sommer über wie trockenes Laub dort liegen bleiben, und die
Inselbewohner würden zu Recht über die Touristen schimpfen, die überall Müll hinwarfen.
Und auch die Bewohner der Großen Alvar würden den Müll sehen.
Max warf die letzte Serviette weg und bückte sich – er schien ganz
sichergehen zu wollen, dass auch kein einziger Blutfleck auf seine Jeans und
die mokkafarbene Jacke geraten war. Dann stieg er wieder ein, ohne Vendela
anzusehen.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er nur, nachdem er sich angeschnallt
hatte.
Sie nickte als Antwort und dachte: Natürlich. Einige Tage sind nur verrückter als andere.
Sie sah hinüber zu dem Wagen, in dem der Mann und der Junge saßen.
»Willst du nicht mit ihnen reden?«
»Warum sollte ich?«, erwiderte Max und startete den Motor. »Ist doch
niemand zu Schaden gekommen.«
Außer dem Vogel ,
dachte Vendela.
Es knirschte, als Max rückwärts aus der Verkeilung mit der Holzkiste
fuhr. Sie hatte einen großen Riss davongetragen, Vendela konnte einen dünnen
Sandstrahl sehen, der auf den Asphalt quoll. Die Front des Audis hatte bestimmt
auch etwas abbekommen.
Endlich hörte Aloysius auf zu wimmern und legte sich auf den Boden.
»Alles klar!«, sagte Max und schüttelte den Kopf, als wollte er das
Geschehene verjagen. »Jetzt müssen wir aber Gummi geben.«
Er legte den ersten Gang ein und betätigte den Scheibenwischer. Dann
drückte er das Gaspedal herunter und verließ den Parkplatz.
Vendela sah nach hinten, um nach dem zerfetzten Vogelkörper am
Wegesrand Ausschau zu halten. Aber es war nichts zu entdecken, wahrscheinlich
lag er im Graben.
»Ich würde gerne wissen, was es für ein Vogel war«, sagte sie. »Hast
du es gesehen, Max? Ich habe keine Ahnung, ob es ein Fasan oder ein Birkhahn
oder ...«
Er schüttelte erneut den Kopf.
»Vergiss es jetzt einfach.«
»Aber es war doch kein Kranich, oder, Max?«
»Ich sagte doch, du sollst diesen Vogel vergessen, Vendela.
Konzentriere dich auf unser Haus.«
Die Straße war leer, und er gab Vollgas. Vendela wusste, dass er nun
schnell ankommen wollte, um gleich an seinem Buch weiterarbeiten zu können.
Anfang nächster Woche sollte ein Fotograf kommen und Aufnahmen von ihm in
seiner neuen Küche machen. Das Essen würde selbstverständlich Vendela kochen
und anrichten.
Der Audi gewann rasch an Geschwindigkeit. Bald fuhren sie wieder so
schnell wie zuvor, als hätten weder der Unfall noch die Auseinandersetzung
jemals stattgefunden. Nur Aloysius, der sich an Vendelas Bein presste, hörte
nicht auf zu zittern. Genau genommen zitterte er immer, wenn Max in der Nähe
war.
Wäre er jünger und gesünder, könnte ihn Vendela mit auf ihre Tour
über die Große Alvar nehmen. Aber er musste zu Hause bleiben. Max hielt auch
nicht viel von Spaziergängen oder Joggingtouren. Vendela würde ganz alleine in
die Natur gehen dürfen.
Allerdings würde sie nicht völlig allein sein. Dort lebten ja die
Elfen.
5
G eht
es dir gut?«, fragte Per zum sechsten oder siebten Mal.
Jesper nickte.
»Nichts gebrochen?«
»Nee.«
Sie waren wieder in den Wagen gestiegen. Etwa zehn Meter von ihnen
entfernt setzte der Audi von der zersplitterten Holzkiste zurück. Per konnte
sehen, dass der Frontspoiler eingerissen und der rechte Scheinwerfer zerplatzt
war.
Der Audi wendete und bog auf die Landstraße ein. Der Fahrer starrte
stur geradeaus, aber die Frau auf dem Beifahrersitz sah zu Per hinüber. Ihre
Blicke trafen sich für ein paar Sekunden, ehe sie sich abwandte. Sie hatte ein
schmales,
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