Blutstein
öffnete das Gartentor von Gerlof Davidssons Häuschen. Seit ihrer
letzten Begegnung war nur eine Woche vergangen, aber in dieser Zeit war so viel
passiert.
Gerlof war zu Hause. Er saß in seinem Gartenstuhl, eine Decke über
den Knien und ein Tablett mit Essen auf dem Tisch. Daneben lag ein altes
Notizheft. Der Rasen müsste gemäht werden, registrierte Per, aber er hatte im
Moment keine Kraft, seine Hilfe anzubieten.
Gerlof sah auf und nickte ihm freundlich zu.
»Oh, wie schön«, begrüßte er ihn, »ich hatte mich gerade gefragt,
wann Sie mal wieder vorbeischauen.«
Per setzte sich auf den Besucherstuhl.
»Ich war eine Zeit lang weg«, sagte er. »Aber für dieses Wochenende
kommen offenbar alle wieder auf die Insel.«
»Ja«, sagte Gerlof. »Wissen Sie, ob es ein Walpurgisnachtsfeuer
geben wird heute Abend?«
»Davon gehe ich aus«, antwortete Per. »Unten am Campingplatz stand,
dass sie ein Feuer machen wollen. Ich habe den Reisighaufen am Strand schon
gesehen.«
»Reisighaufen?«, wiederholte Gerlof. »Jetzt werde ich Ihnen mal
erzählen, wie wir früher hier in Stenvik Walpurgisnacht gefeiert haben. Zuerst
haben wir alle alten Teertonnen gesammelt, die im Winter geplatzt waren, und
haben sie übereinandergestapelt. Obendrauf wurde eine neue Tonne gestellt,
frisch gefüllt mit Teer ... und dann wurde das Ganze angezündet! Durch die Hitze
schmolz der Teer in der obersten Tonne, lief über den Rest und fing Feuer. Ich
sage Ihnen, das wurde zu einer einzigen riesigen weißen Säule, die hoch in den
Himmel stieg. Die konnte man sogar noch auf dem Festland sehen, und sie hat
alle bösen Kreaturen verjagt.«
»Wunderbare Zeiten«, nickte Per.
Nach einer Weile des Schweigens fragte er:
»Und, Gerlof, ist bei Ihnen alles in Ordnung?«
»Nicht wirklich, wie sieht es bei Ihnen aus?«
Per schüttelte den Kopf.
»Aber das ändert sich hoffentlich bald ... die Ärzte werden morgen
früh meine Tochter wieder gesund machen.«
»Wie schön«, sagte Gerlof. »Sie meinen, sie wird morgen operiert?«
Per nickte und spürte seinen Puls im Hals pochen. Warum saß er
eigentlich hier herum, warum war er nicht bei Nilla im Krankenhaus?
Weil er feige war.
»Markus Lukas ist tot«, sagte er dann.
»Wie bitte? Wer ist tot?«, fragte Gerlof.
Per begann zu erzählen, es strömte nur so aus ihm heraus. Er
erzählte von Markus Lukas, der eigentlich Daniel Wellman hieß und ein
Pornomodell gewesen war, das sich mit Aids infiziert hatte und Jerry und Hans
Bremer am Telefon um Geld angebettelt hatte. Per hatte Jerrys Äußerungen über
Markus Lukas missverstanden – er war zu keinem Zeitpunkt gefährlich gewesen,
nur krank. Und jetzt war er tot.
Aber wer hatte dann die Brandbomben im Filmstudio installiert und
Hans Bremer und Jessika Björk auf dem Gewissen? Wer hatte die Schlüssel von
Bremer an sich genommen und war in Jerrys Wohnung eingedrungen? Und wer hatte
Jerry überfahren?
Gerlof hörte ihm aufmerksam zu, aber als Per geendet hatte, hob er
abwehrend die Hand.
»Ich sage am besten nichts dazu.«
»Nein, warum nicht?«
Gerlof antwortete erst nach einer ganzen Weile:
»Zeit meines Lebens habe ich mich für Rätsel und Geheimnisse
interessiert ... und versucht, sie zu lösen. Aber das ist leider auch
schiefgegangen.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Per. »Lösungen und Erklärungen können
doch nicht schaden?«
Gerlof senkte seinen Blick auf Ellas Tagebuch, das auf dem
Gartentisch lag.
»Ich kann Ihnen eine Geschichte über einen anderen, ebenfalls
mysteriösen Brand erzählen«, hob er an. »Vor vierzig Jahren gab es ein Feuer
hier in der Nähe, auf einem Hof nördlich von Stenvik. Eine Scheune brannte bis
auf die Grundmauern ab, mit Kühen und allem. Ich war gerade zu Hause, als es
geschah, und bin, wie alle anderen Bewohner auch, zum Ort des Geschehens
gelaufen. Aber ich wurde misstrauisch, weil ich den Geruch von Petroleum
bemerkt hatte. Und als ich genauer hinsah, entdeckte ich Stiefelabdrücke im
Erdreich. Das Besondere daran war eine Kerbe im Abdruck der Hacke, die von
einem schlecht gesetzten Nagel stammte. Ich wusste sofort, dass dieser Stiefel
von Schuh-Paulsson stammte.«
»Schuh-Paulsson?«
»Das war seinerzeit ein selten schlechter Schuhmacher in unserem
Ort«, sagte Gerlof. »Meine Beobachtung habe ich also der Polizei mitgeteilt,
und die hat den Besitzer des Stiefels ermittelt und ihn festgenommen.«
»Und wer war es?«
»Es war der Eigner des Hofs.« Gerlof nickte in Richtung
Weitere Kostenlose Bücher