Blutstein
noch nicht
einmal versucht hatte, meinem Kerlchen zu helfen.
Dann trocknete
ich meine Tränen und wartete auf die Heimkehr meiner Lieben. Ich werde kein
Wort über diese Geschichte verlieren. Es war Henrys Schicksal und das seines
Sohnes. Ich habe genug Dummheiten begangen, indem ich die vielen Geschenke des
Kerlchens angenommen und behalten habe, Schmuckstücke, die mir nicht gehören
und nie gehören werden.
Damit endeten Ellas
Aufzeichnungen, es waren nur noch ein paar leere Zeilen auf der letzten
Seite frei. Gerlof ließ das Tagebuch sinken und schämte sich, dass er es jemals
aufgeschlagen hatte.
Er saß auf dem Stuhl im Garten und versuchte sich zu erinnern, wie
es gewesen war, als er einige Tage später nach Öland zurückgekehrt war, nachdem
der Sturm sich wieder beruhigt hatte. Hatte er bemerkt, dass etwas geschehen
war? Nein, Ella hatte nie viel darüber erzählt, was in seiner Abwesenheit
passierte. Und er hatte auch nie wirklich nachgefragt, musste er zugeben.
Außerdem war er damals sehr mit der nächsten Fracht nach Stockholm beschäftigt
gewesen.
Ellas Kerlchen hatte sich mit Henry Fors geprügelt. Es musste sein
eigener Sohn gewesen sein. Gerlof hatte ihn nie zu Gesicht bekommen, aber er
hatte natürlich dieselben Gerüchte wie Ella gehört, dass Henry einen geistig
behinderten Sohn gehabt hatte, dem er den Brand in seiner Scheune angelastet
hatte. Zu Unrecht? Auf jeden Fall schienen sie einen alten Konflikt an jenem
Abend im Steinbruch miteinander ausgetragen zu haben. Dabei war es zu einem
immensen Gefühlsausbruch gekommen, woraufhin der Junge spurlos verschwand und
Henry nie wieder der Alte wurde.
Und an allem war Gerlof schuld.
62
P er
saß in seinem Wohnzimmer und betrachtete den Sonnenuntergang über dem
Steinbruch. Noch anderthalb Tage bis zu Nillas Operation.
Er hatte sich Spaten und Stemmeisen genommen und geplant, an der
Treppe zum Steinbruch zu arbeiten, aber nicht genug Kraft gehabt, die
Steinblöcke zu den oberen Stufen zu schleppen. Jesper hatte es nicht geschafft,
die Treppe alleine weiterzubauen, und ihm gelang es ebenfalls nicht. Zwei Steinblöcke
hatte er nach oben tragen können, aber nachdem ihm der dritte wieder hinunter
in den Kies gerutscht war, hatte Per aufgegeben und war ins Haus zurückgekehrt.
Nun saß er im Wohnzimmer und war unendlich müde.
Sechsunddreißig Stunden entsprachen zweitausendeinhundertsechzig
Sekunden, hatte er ausgerechnet. Was sollte er nur mit dieser vielen Zeit
anfangen? Joggen gehen? Er war das letzte Mal mit Vendela laufen gewesen, aber
heute hatte er keine Lust.
Er schaltete den Fernseher ein, aber dort lief nur ein Kinderprogramm,
und er stellte ihn schnell wieder ab.
Stille. Die Sonne sank immer tiefer, die Schatten wurden immer
länger.
Plötzlich klingelte das Telefon in der Küche. Per zuckte zusammen.
Schlechte Neuigkeiten? Er war sich ganz sicher, hob aber dennoch den
Hörer ab.
Eine heisere Männerstimme ertönte am Ende der Leitung.
»Per Mörner?«
»Ja?«
Er kannte die Stimme nicht, und der Anrufer stellte sich auch nicht
vor.
»Nina hat mir gesagt, dass Sie mit mir reden wollen«, sagte er nur.
»Ich bin der Besitzer vom Moulin Noir.«
Per erinnerte sich an den Zettel, den er der rothaarigen Frau in dem
Malmöer Nachtklub gegeben hatte.
»Ja, guten Tag«, sagte er und versuchte sich zu konzentrieren.
»Vielen Dank, dass Sie anrufen. Ich wollte Ihnen nur ein paar Fragen über
meinen Vater stellen ... Jerry Morner.«
»Ach, Jerry, wie geht es ihm?«
Wieder musste Per erzählen, dass sein Vater ums Leben gekommen war.
»Verdammt, das ist schrecklich«, antwortete der Mann. »Ist sein
Studio nicht auch noch vor Kurzem abgefackelt?«
»Doch, am Wochenende vor Ostern«, bestätigte Per. »Jerry hat mir
gegenüber das Moulin Noir ein paarmal erwähnt, bevor er starb, das hat mich ein
bisschen neugierig gemacht.«
Der Mann seufzte müde.
»Ein bisschen neugierig ... Sie waren doch letzte Woche hier, wie
fanden Sie es denn?«
»Na ja ... ich bin ja nicht die Treppe hinuntergegangen«, sagte Per,
»aber die Frau an der Kasse hat versprochen, dass einen dort unten eine
Überraschung erwartet. Stimmt das denn?«
Der Mann lachte.
»Die große Überraschung ist, dass es keine Überraschung gibt. Die
Geschäftsleute kommen hier spätnachts mit ihren Kreditkarten vorbei und
glauben, es gäbe wilden Sex mit einem Haufen Blondinen, aber das Moulin Noir
ist kein Bordell!«
»Was ist es denn?«
»Es ist ein Tanzklub.
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