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Blutstein

Blutstein

Titel: Blutstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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Vitaminen, zumindest
stand das auf der Verpackung.
    Sie spülte sie mit einem Glas Wasser herunter.
    So, das war erledigt. Zeit für einen Spaziergang.
    Die neuen Tabletten waren ungewöhnlich stark, und sie fühlte sich
ein bisschen schwindelig, als sie auf die Treppe hinaustrat. Die Sonne schien,
und ein frischer Frühlingswind blies ums Haus, aber sie spürte weder Wärme noch
Kälte. Sie fühlte sich ausgeglichen und zufrieden.
    Der Himmel über Öland war gewaltig und endlos, kein einziger Berg
hielt das Sonnenlicht von der Insel ab. Deshalb lebten die Elfen hier auch so
gerne.
    Alles war so still, als Vendela den kleinen Pfad entlangging. Keine
Autos, keine Stimmen. Nur ab und zu fröhliches Vogelgezwitscher und ein
friedliches Rauschen vom eisfreien Sund.
    Auf der anderen Seite der Kieseinfahrt begann ein kleiner Feldweg,
der ins Nichts führte. Zwei Reifenspuren mit einem Grasstreifen in der Mitte.
Dort lief sie weiter, schloss für einen Moment die Augen und tappte so übers
Feld.
    Als sie ihre Augen wieder öffnete, stand sie vor einer Steinmauer
mit einem Gittertor. Dahinter erstreckte sich ein kleiner Garten mit vergilbter
Rasenfläche. In einem Gartenstuhl saß ein Mann.
    Erst als Vendela näher herangeschlichen war, stellte sie fest, dass
der Mann schon sehr alt war, faltig und fast kahl, nur ein dünner weißer
Haarkranz schmückte seinen Kopf. Um den Hals trug er einen dicken Schal, um
seine Beine war eine Decke gewickelt und auf seinem Schoß lag ein dünnes Buch.
Die Augen waren geschlossen, das Kinn auf die Brust gesunken. Er wirkte
unbeschwert, wie jemand, der sein Lebenswerk beendet hat und zufrieden darauf
zurückblickt.
    Das hätte ihr Vater sein können – allerdings war Henry sein Leben
lang viel zu rastlos gewesen, um einfach so in einem Garten herumzusitzen.
    Vendela war davon ausgegangen, dass der Mann schlief, als sie aber
die Hand auf das Tor legte, hob er den Kopf und sah zu ihr herüber.
    »Habe ich Sie gestört?«, rief sie ihm zu.
    »Nicht mehr als andere«, erwiderte er und schob das Buch auf seinem
Schoß unter die Decke.
    Seine Stimme war zwar leise, aber kraftvoll, die Stimme eines
Menschen, der es zeit seines Lebens gewohnt war, die Richtung vorzugeben. Ein
bisschen so wie die von Max.
    Die Tabletten machten Vendela mutiger, sie drückte die Türklinke
herunter und trat in den Garten.
    »Ich sitze hier nur herum und sehe den Schmetterlingen hinterher«,
sagte er, als sie näherkam. »Und ich denke nach.«
    Das war kein Scherz gewesen, Vendela kicherte trotzdem – und bereute
es sofort.
    »Ich heiße Vendela«, stellte sie sich vor. »Vendela Larsson.«
    »Und ich heiße Davidsson. Gerlof mit Vornamen.«
    Ein ungewöhnlicher Name, Vendela hatte ihn noch nie zuvor gehört.
    »Gerlof ... ist das deutsch?«
    »Ich glaube, es ist ursprünglich holländisch. Es ist ein alter
Familienname.«
    »Leben Sie hier das ganze Jahr über, Gerlof?«
    »Jetzt schon. Ich werde vermutlich hierbleiben, bis sie mich
wegtragen.«
    Vendela kicherte erneut.
    »Dann sind wir ja Nachbarn.« Sie zeigte mit ihrem Finger in die
Richtung, wo sie ihr Haus vermutete, und bemühte sich, dass ihre Hand dabei
nicht zitterte. »Wir sind gerade in unser Haus am Steinbruch eingezogen, mein
Mann Max und ich. Wir wohnen jetzt dort.«
    »Ach ja!«, entgegnete Gerlof. »Aber vermutlich nur in den warmen
Monaten, nicht das ganze Jahr über.«
    Das war nicht als Frage gemeint.
    »Nein, nicht das ganze Jahr über ... Nur im Frühling und im Sommer.«
    Sie hätte am liebsten noch ein Gott sei Dank hinzugefügt, aber sie
hielt sich zurück. Es war unhöflich zu unterstreichen, wie kalt und einsam es
auf der Insel im Winter war. Sie hatte das als kleines Mädchen erlebt, das genügte
ihr vollkommen.
    Sie verstummten. Kein Schmetterling zeigte sich mehr, dafür sangen
die Vögel in den Büschen. Vendela schloss die Augen und überlegte, ob ihr
nervöses Zwitschern Warnsignale waren.
    »Gefällt es Ihnen hier?«, fragte Gerlof.
    Vendela sah hoch und nickte energisch.
    »Absolut, das ist ja so ...«, sie suchte nach dem richtigen Wort, »...
so strandnah.«
    Der alte Mann erwiderte nichts, deshalb fuhr sie fort:
    »Wir wollen ein kleines Nachbarschaftsfest für alle Bewohner des
Ortes ausrichten. Diesen Mittwoch gegen sieben Uhr, hatten wir uns gedacht ...
Ich würde mich freuen, wenn Sie auch kommen könnten.«
    Gerlof sah auf seine Beine.
    »Ich komme gerne, wenn ich mich bewegen kann ... das hängt immer von
meiner

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