Blutstein
Tagesform ab.«
»Wunderbar, sehr schön.«
Vendela kicherte nervös und ging zurück zum Gartentor. Sie hatte
Hunger, und die neuen Tabletten machten sie schläfrig. Aber es war angenehm,
übers Gras zu laufen, wie eine Elfe zu schweben, dem Wind und der weißen Sonne
entgegen.
»Hallo, Max?!«
Vendelas Stimme hallte über den Steinfußboden. Sie bekam keine
Antwort, fühlte sich aber von der Begegnung mit Gerlof so beschwingt, dass sie
ins Leere rief:
»Ich habe einen alten Mann kennengelernt. Einen Einheimischen ... so
nett! Er wohnt in einem kleinen Häuschen auf der anderen Straßenseite. Ich habe
ihn zu unserem Fest eingeladen!«
Ein paar Sekunden lang herrschte Schweigen, dann öffnete sich die
Tür zu Max’ Arbeitsraum, und er streckte seinen Kopf heraus. Nachdenklich sah
er seine Frau an und fragte dann:
»Was hast du genommen?«
Vendela erwiderte seinen Blick und straffte den Rücken.
»Nichts weiter ... nur ein paar Fatburner.«
»Keine Aufputschmittelchen heute?«
»Nein! Ich habe Frühlingsgefühle, ist das falsch?«
Sie hätte am liebsten auf dem Absatz kehrtgemacht, blieb aber stehen
und schüttelte unwillig den Kopf. Sie versuchte, aufrecht zu stehen, ohne zu
schwanken, obwohl sich der Steinboden unter ihr bewegte.
»Vendela, als wir hier angekommen sind, wolltest du deine Dosis
reduzieren. Das hast du versprochen!«
»Ich weiß .
Ich will ja auch joggen gehen!«
»Tu das«, nickte Max. »Das ist besser, als Tabletten zu nehmen.«
»Ich bin gerade einfach nur froh«, hob sie erneut an und bemühte
sich, so ernsthaft wie möglich zu klingen, »und das hat nichts mit irgendeiner
Medizin zu tun. Ich freue mich, weil der Frühling in der Luft liegt und weil
ich diesen wunderbaren, netten alten Mann kennengelernt habe ...«
»Stimmt, du hattest schon immer ein Faible für ältere Herrschaften.«
Max rieb sich die Augen und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück. »So, ich
muss jetzt wieder was tun.«
10
D er
Geruch von Kalkstein und Tang, von Meer und Küste, der Wind, der über den
Strand strich, das Glitzern der Sonne im Sund: Winter und Frühling trafen sich
über der Insel.
Es war Sonntagvormittag, und Per stand mit einem Besen in der Hand
auf der Steinterrasse und wünschte sich, dass die Frühlingssonne in alle
dunklen Ecken seines Körpers und seiner Seele scheinen könnte. Ernst hatte sich
zwei Terrassen ans Haus gebaut, die jeweils an den Längsseiten angebracht
waren, eine zeigte nach Südosten, die andere nach Nordwesten. Das war
raffiniert, denn so konnte man entweder dem Gang der Sonne von frühmorgens bis
abends folgen oder den ganzen Tag im Schatten sitzen.
Per reckte sich und ließ seinen Blick die Steinküste entlangschweifen.
Er wusste, dass er in dem Haus mit der Aussicht aufs Meer eigentlich
glücklicher sein müsste, als er sich tatsächlich fühlte. Er würde so gerne
diesen friedlichen und ruhigen Augenblick auskosten und genießen, aber seine
Sorge um Nilla war zu groß. Die Angst, was die Ärzte entdecken könnten.
Doch dagegen konnte er nichts unternehmen, er konnte nur dagegen
ankämpfen.
Die alte Terrasse bestand aus Kalkstein, sie war uneben, und
zwischen den Ritzen wuchs Unkraut, aber sie war stabil gebaut. Nachdem Per das
Laub zusammengefegt hatte, trat er an die äußere Kante der Terrasse und sah
hinunter in den Steinbruch. Dort unten rührte sich nichts, nur die halb fertige
Steintreppe reckte sich den Abhang hinauf.
Dann wanderte sein Blick zu den großen Villen auf der Südseite, und
er musste unwillkürlich an die neuen, reichen Nachbarn denken.
Sie waren den einen oder anderen Gedanken wert. Er schätzte, dass
die beiden Grundstücke mit den Häusern mindestens ein paar Millionen gekostet
hatten. Vielleicht um die drei, inklusive aller Nebenkosten. Die Tatsache, dass
seine neuen Nachbarn große Summen bewegen konnten, war allerdings das Einzige,
was er von ihnen wusste.
Es wurde höchste Zeit, Ernsts Gartenmöbel hervorzuholen. Die waren
aus Rattan und sahen aus, als stammten sie von irgendeiner Plantagenveranda aus
dem Dschungel.
Das Telefon in der Küche klingelte, als er mit dem ersten Sessel in
den Händen in der Terrassentür stand.
»Jesper?«, rief er ins Haus hinein. »Kannst du rangehen?«
Er wusste nicht, wo sein Sohn war, und Jesper antwortete auch nicht.
Das Telefon klingelte erneut, und nach dem vierten Klingelzeichen
stellte Per den Stuhl ab und ging in die Küche.
»Mörner.«
»Hallo?«, rief eine schwer verständliche
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