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Blutstein

Blutstein

Titel: Blutstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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wusste, wo Ryd lag. Es war eine kleine Ortschaft in den
småländischen Wäldern – Jerry besaß dort ein Haus, und Per hatte ihn vor
einigen Jahren häufiger dorthin gebracht.
    »Wie willst du denn da ohne Auto hinkommen?«
    »Bus.«
    Jerry hatte sich über fünfzehn Jahre lang auf Bremer verlassen. Vor
dem Schlaganfall, als sein Vater noch in ganzen Sätzen sprechen konnte, hatte
er vor Per immer mit Nachdruck seinen Assistenten gelobt: Bremer kümmert sich einfach um alles, er mag seinen
Job. Bremer bringt das in Ordnung.
    »Sehr gut«, sagte Per. »Dann fahr doch für ein paar Tage dorthin. Du
kannst dich ja melden, wenn du wieder zu Hause bist.«
    »Ja.«
    Jerry fing wieder an zu husten und beendete das Telefonat. Auch Per
legte den Hörer zurück auf die Gabel, blieb aber nachdenklich am Fenster
stehen.
    Eltern sollten in ihren Kindern nicht das Gefühl von endloser
Einsamkeit auslösen dürfen. Aber genau das tat Jerry. Per fühlte sich maßlos
allein, ohne Verwandte und Freunde. Sein Vater hatte alle vergrault. Sogar Pers
erste große Liebe, ein lachendes Mädchen namens Regina, hatte er verjagt.
    Per holte tief Luft. Aber er blieb reglos in der Küche stehen. Am
besten wäre es, jetzt unten am Strand eine Runde joggen zu gehen, doch es war
schon zu dunkel.
    Wenn Per zurückdachte, so hatte sich Jerry mit seinem
Verfolgungswahn das Leben schwer gemacht. Auf der anderen Seite hatte er immer
auch eine fast groteske Lebensfreude besessen. Die war allerdings mit dem
Schlaganfall verloren gegangen. Früher war Per der Ansicht gewesen, dass Jerry
diese tatsächlichen oder eingebildeten Konflikte benötigte, um seinem Leben
Würze zu geben. Dass sie ihm in seiner Funktion als Unternehmer neue Energie
verliehen. Aber die Stimme, die er heute am Apparat gehabt hatte, hatte in
erster Linie nur verwirrt und erschöpft geklungen.
    In Pers Erinnerung hatte sich sein Vater immerzu eingebildet, dass
irgendwelche Leute hinter ihm her waren: meistens der schwedische Staat und
dessen Steuersheriffs, aber auch die Banken, ein Konkurrent oder ehemalige
Angestellte.
    Per konnte im Moment nicht besonders viel für seinen Vater tun. Er
benötigte professionelle Pflege und Unterstützung. Für Per war es viel wichtiger,
ein guter Vater für Nilla zu sein, als der Sohn von Jerry.
    Und natürlich auch für Jesper. Er durfte Jesper nicht vergessen.
    Die Zimmertür seines Sohnes war geschlossen, aber Per war ein guter
Vater. Er kümmerte sich um seine Kinder. Vorsichtig klopfte er an und steckte
seinen Kopf durch den Spalt.
    »Hallo.«
    »Hallo, Papa«, erwiderte Jesper leise.
    Er saß auf dem Bett, seinen Gameboy in den Händen, obwohl es
eigentlich schon viel zu spät war, um noch zu spielen.
    Per entschied sich, es nicht zu kommentieren. Stattdessen erzählte
er von seiner Idee, die ihm gekommen war, als er aus dem Fenster auf den
Steinbruch gesehen hatte; er wollte eine Abkürzung, eine Treppe hinunter zum
Strand bauen.
    »Wollen wir das morgen zusammen anpacken?«, fragte er seinen Sohn.
»Ein paar Muckis bekommen und etwas Cooles bauen?«
    Jesper überlegte einen Moment lang, dann nickte er.
    Am nächsten Morgen schliefen sie beide bis neun Uhr. Nach dem
Frühstück begannen sie mit dem Bau der Treppe.
    Ernst hatte nur eine wackelige Holztreppe gehabt, die hinunter in
den Steinbruch führte. Per wollte etwas Stabileres. Eine Treppe, die seine
Kinder und er benutzen konnten, wenn sie an sonnigen Tagen hinunter zum Strand
wollten.
    Im südlichen Teil des steinigen Grundstücks senkte sich die
Felsenkante ein paar Meter ab. Genau an dieser Stelle wollte Per die Treppe
errichten.
    Ein Werkzeug nach dem anderen warfen sie in den Kies auf dem Grund
des Steinbruchs: Stemmeisen, Spaten und Hacken. Dann seilten sie die alte
Schubkarre ab, zogen sich ihre Arbeitshandschuhe an und kletterten hinterher.
    Unten am Fuß der Felskante war es wesentlich kühler und weit und
breit kein Mensch zu sehen. Hier wuchs auch kaum etwas, bis auf Gräser und ein
paar Sträucher, die sich in den Felsspalten und im Geröll festklammerten. Auf
einigen der Steinhaufen saßen Möwen und schrien sich gegenseitig mit
aufgerissenen Schnäbeln an.
    Etwa auf Kniehöhe verlief durch den hellen Kalkstein eine
merkwürdige Steinader mit dunkelroten Klumpen. Per erinnerte sich, die hatte er
schon in seiner Kindheit gesehen. Blutstein hatte Ernst sie genannt, allerdings ohne ihm
eine Erklärung zu geben, warum sie so hieß. Das konnte ja wohl kaum richtiges
Blut

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