Blutstein
so groß war wie ihr Haus. Sie unterschied sich allerdings darin, dass
die Außenwände aus hellem Holz und die Fenster schmal und hoch waren. Der
Garten war in einem besseren Zustand, für den zukünftigen Rasen war frische
Erde in Platten ausgelegt und festgeklopft worden, und jemand hatte bereits
Grassamen gesät.
In der Villa war jemand zu Hause. Eine junge Frau in einem blauen
Overall öffnete die Tür, als Vendela klingelte. Sie trug ihr blondes Haar kurz
geschnitten und grüßte freundlich, schien aber genauso wie John Hagman nicht
besonders froh über den Besuch zu sein.
Die Frau hieß Kurdin mit Familiennamen, erfuhr Vendela. Marie
Kurdin.
»Habe ich Sie gestört?«, fragte Vendela und kicherte.
»Nein, aber ich bin gerade mit einer Wand zugange.«
»Tapezieren Sie?«, fragte Vendela.
»Ich streiche.«
Als Vendela von ihrem Vorhaben berichtete, schien Marie Kurdin mit
ihren Gedanken ganz woanders zu sein. Möglicherweise dachte sie an die Farbe,
die gerade trocknete, während sie sich unterhielt.
»Gut«, sagte sie leise, ihre Stimme klang weder warmherzig noch in
irgendeiner Weise unfreundlich. »Christer, der kleine Paul und ich kommen
gerne, wir bringen Wein mit.«
»Schön, dann sehen wir uns am Mittwoch.«
Vendela wandte sich zum Gehen. Für sie war das Projekt misslungen.
Nicht, dass irgendetwas schiefgelaufen oder die Gespräche unangenehm gewesen
wären, aber sie hatte sich insgeheim erhofft, mit offeneren Armen empfangen zu
werden. In solchen Momenten sehnte sie sich mehr als je zuvor hinaus in die
Große Alvar – sehnte sich danach, einfach wegzulaufen. Zum Stein der Elfen, trotz
der Dinge, die damals dort geschehen waren.
Aber sie zwang sich, dranzubleiben und auch dem letzten Haus am
Steinbruch einen Besuch abzustatten. Der kleinen Hütte im Norden. Der Saab
stand auf dem Wendeplatz vor dem Häuschen. Vendela zögerte und überlegte, ob
sie wirklich auch dort anklopfen musste. Schließlich gab sie sich einen Ruck
und tat es.
Es wurde sehr schnell geöffnet, der Mann, der Max zu Boden gestoßen
hatte, stand in der Türöffnung. Er sah jetzt viel freundlicher aus.
»Guten Tag«, begrüßte ihn Vendela.
»Hallo«, erwiderte der Mann.
Sie streckte ihm die Hand entgegen und stellte sich vor, und sie
erfuhr, dass der Mann Per hieß, Per Mörner. Sie kicherte nervös.
»Ich würde gerne etwas zu dem Vorfall auf dem Parkplatz sagen und
Ihnen erklären, dass mein Mann ...«
»Vergessen wir das doch«, sagte Per Mörner. »Wir waren alle ein
bisschen aufgeregt.«
Sie sahen sich schweigend an, dann fasste sich Vendela ein Herz:
»Ich laufe hier von Tür zu Tür und stelle mich vor.« Wieder lachte
sie ihr nervöses Kichern. »Jemand muss ja damit anfangen.«
Per nickte.
»Und außerdem ist mir eine Idee gekommen«, fuhr Vendela fort. »Ich
habe mir überlegt, ein Nachbarschaftsfest zu veranstalten.«
»Ein Nachbarschaftsfest? Okay? Wann denn?«
»Am Mittwoch«, sagte Vendela. »Würde Ihnen und Ihrer Frau das
zeitlich passen?«
»Klar, aber ich habe keine Frau. Nur zwei Kinder.«
»Ach so ... Sind Sie denn am Mittwoch zu Hause?«
Per nickte erneut.
»Ich muss zwar jetzt gleich aufs Festland fahren und etwas
erledigen, aber nur tagsüber. Mein Sohn Jesper wird hierbleiben. Ist das mit
Büfett, und jeder bringt was mit?«
Vendela schüttelte den Kopf.
»Wir möchten Sie alle zum Essen einladen. Aber Sie dürfen gerne
etwas zu trinken mitbringen.«
Per Mörner nickte, schien sich aber auch nicht sonderlich auf das
Fest zu freuen.
Vielleicht hatte er die Auseinandersetzung mit Max doch noch nicht
verwunden, obwohl er es behauptet hatte. Oder aber er war in Gedanken mit etwas
anderem beschäftigt.
Als Vendela ins Haus zurückkehrte, hatte es sich Aloysius schon
wieder in seinem Korb bequem gemacht. Sie strich ihm liebevoll über den Rücken
und ging ins Wohnzimmer, um an den Aufzeichnungen in ihrem Notizheft
weiterzuschreiben.
Max war auf der Rückseite des Grundstücks und trug jetzt einen
rustikalen Tweedanzug. Ein Fotograf war vormittags aus Kalmar eingetroffen, um
ein paar Tage auf der Insel zu bleiben und Aufnahmen für das Kochbuch zu machen
– das mittlerweile den Titel Maximal
gutes Essen trug –, und Vendela hatte geholfen, ihren Mann
herzurichten und zu schminken.
Doch ehe sie den Stift aufs Papier gesetzt hatte, wurde die
Terrassentür plötzlich aufgerissen, und der junge Fotograf stürmte herein. Er
wirkte aufgeräumt und fröhlich, ging zielsicher in Richtung
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