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Blutstein

Blutstein

Titel: Blutstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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gewünscht?«
    Henry schüttelt den Kopf und fährt mit dem Polieren fort.
    »Man sollte sich nichts wünschen, was man nicht verdient hat.«
    16
    V endela
wiegte den Stock in ihrer Hand. War das wirklich der Kuhstock aus ihrer
Kindheit? Er sah zwar kürzer aus als früher, war aber noch immer unangenehm
lang. Sie meinte, in weiter Ferne das dumpfe Läuten von Kuhglocken zu hören.
    »Geh! Los! Geh!«
    Nach vierzig Jahren konnte sie sich noch genau an das fauchende
Geräusch des Stocks erinnern, aber sie wusste nicht mehr, warum sie die Kühe so
hart geschlagen hatte. War sie eine Sadistin gewesen?
    Sie stellte den Stock zurück in den Verschlag und schlenderte durch
den Garten hinters Wohnhaus.
    Von dort führte ein schmaler Pfad hinaus in die offene Landschaft.
Jetzt befand sie sich auf der Weide, auf der die Kühe im Sommer gestanden
hatten, aber hier gab es keine Wiese mehr, alles war von Gestrüpp und Büschen
überwuchert. Es lagen auch keine Kuhfladen auf dem Boden. Da hatte schon jahrzehntelang
keine Kuh mehr gegrast.
    Rosa, Rosa und
Rosa , dachte sie und joggte weiter.
    Hinter der Steinmauer, am Ende der Weide, begann die Große Alvar.
    Als Vendela klein war, erstreckte sich hier eine weite Ebene ohne
Bäume und Sträucher. Jetzt sah sie auf mickrige Birken und struppigen Weißdorn.
Die Büsche stellten sich ihr in den Weg, aber sie versuchte dennoch, in
möglichst gerader Linie hinaus in die Alvar zu laufen.
    Die Elfen bewegen
sich entlang der Energielinien einer Landschaft , hatte ihr Adam
erzählt. Sie gehen immer geradeaus,
und wenn die Menschen ihnen Häuser in den Weg stellen, werden sie von großem
Unglück heimgesucht.
    Als sie den Hof hinter sich nicht mehr sehen konnte, steuerte sie
einen Busch an, der in einiger Entfernung stand, und rannte in noch schnellerem
Tempo darauf zu. Die Sonne würde nicht mehr so lange am Himmel stehen, und sie
hatte nicht vor, sich im Dunkeln in der Alvar aufzuhalten.
    Nur zehn Minuten später befand sie sich mitten in der Ödnis – der
Abstand zum Hof erschien ihr viel kürzer zu sein, als sie es aus ihrer Kindheit
in Erinnerung hatte.
    Etwa in zweihundert Meter Entfernung sah sie eine hohe, dichte
Ansammlung von Wacholdersträuchern und drosselte ihr Tempo. Ihre Beine
zitterten, konzentriert atmete sie die kalte Abendluft ein und senkte langsam
ihren Puls. Dann zwängte sie sich durchs Gestrüpp und stand in der kleinen
Lichtung. Hier war jeder Besucher vor Beobachtern geschützt.
    In der Mitte stand wie damals der große Felsblock.
    Er hatte eine raue und kantige Oberfläche, so wie sie ihn in Erinnerung
hatte.
    Es geht immer
darum, am richtigen Ort zur richtigen Zeit zu sein , sagte sie
sich.
    Vorsichtig näherte sie sich dem länglichen Steinbrocken. Er war in
den Erdboden eingesunken.
    Die Elfenmühle, wo die Elfen in der Dämmerung ihr Mehl gemahlen haben.
Der Eingang zu ihrem Reich.
    Der Felsblock erschien ihr kleiner zu sein als damals. Entweder war
er in den vergangenen dreißig Jahren tiefer in die Erde gesunken oder aber es
lag daran, dass Vendela jetzt einfach größer war.
    In den Vertiefungen lagen Gegenstände.
    Nein, keine Gegenstände, Geld. Alte Münzen.
    Aus Bronze oder aus Gold? Sie wagte es nicht, eines der Geldstücke
in die Hand zu nehmen und es sich genauer anzusehen. Aber wenigstens wusste sie
nun, dass auch andere Inselbewohner an die Kraft der Elfen glaubten.
    Sie blieb in einiger Entfernung zum Stein stehen und lauschte den
Geräuschen der Ebene. Der Wind rauschte, und in weiter Ferne hörte man ganz
schwach den Verkehrslärm von der Landstraße.
    Aber kein Rascheln, keine Schritte.
    Dann trat Vendela an den Stein heran und legte eine Hand auf den
Block. Er war so kühl wie erwartet, obwohl die Sonne ihn beschien.
    Sie legte sich hinter den Elfenstein in den Windschatten. Der Boden
war kalt, aber nicht feucht. Vendela schloss die Augen. Sie konnte den großen
Felsblock neben sich spüren, er strahlte Kraft und eine beschützende Ruhe aus.
    Niemand wusste, wo sie war. Hier draußen hatte der Rest der Welt
keine Bedeutung.
    Schlagartig verstummte die Landschaft um sie herum – nicht ein
Zweiglein bewegte sich mehr. Langsam öffnete Vendela die Augen. Die Alvar mit
ihrem frühlingsgelben Gras sah erstarrt aus, verblasst wie auf einer alten
Fotografie. Wenn sie jetzt auf ihre Armbanduhr sehen würde, würde sie sehen,
dass die Zeiger stillstanden.
    Das Reich der
Elfen.
    Da hörte sie ein Rascheln im Gras auf der anderen Seite

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