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Blutstein

Blutstein

Titel: Blutstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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Kühe hießen, weil sie die drei nicht voneinander unterscheiden
konnte. Für sie waren das drei braune Gegenstände, die zwischen Hof und Weide
hin und her getrieben werden mussten. Es war eine alltägliche Pflicht, die mit
der Frühjahrsarbeit auf den Äckern und der Rückkehr der Sonne im April begann.
Dann gab Henry, getreu der Tradition der schwedischen Bauern, jeder Kuh als
erste Mahlzeit außerhalb der Stallfütterung einen in Teer getunkten Hering.
Danach schickte er die Tiere hinaus auf die Weide und überließ seiner Tochter
ihre Betreuung.
    Der Kuhstock war weich und glatt, schmal und geschmeidig. Henry
hatte die Rinde vollständig abgeschält, bevor sie ihn bekommen hatte.
    Damit kannst du
die Kühe lenken und führen , hatte er ihr erklärt. Lauf hinter ihnen her, und stoße
sie ab und zu in die Seite, damit sie in die richtige Richtung gehen .
    Die Kühe waren so groß wie Felsblöcke, und Vendela schubste sie auf
ihrer ersten Tour von der Weide zurück zum Hof ganz vorsichtig. In den ersten
Tagen hatte sie große Angst, die Tiere könnten sie angreifen. Aber die Kühe
reagierten überhaupt nicht auf sie. Sie verhielten sich, als existierte Vendela
gar nicht. Dann begann sie fester zu drücken, und nach nur einem Monat stieß
sie mit dem Stock in die Flanken.
    Danach lernte sie das Schlagen.
    Der Kuh, die unmittelbar neben ihr lief, die härtesten Schläge zu
verpassen wurde zu einer Gewohnheit. Rosa, Rosa und auch Rosa hatten so dicke,
braun-weiße Haut, hart wie Leder. Gern wollte sie durch diese Haut
hindurchstoßen und Blut sehen, aber am meisten wünschte sie sich, dass die Kühe
Angst vor ihr hätten. Aber die drei Rosas trotteten bedächtig mit hin und her
pendelnden Köpfen an Vendelas fauchendem Stock vorbei. Die Schläge brachten sie
höchstens dazu, ab und zu ein paar Sprünge über den Kiesweg zu machen. Die
Kuhglocken kamen kurz aus dem Takt, dann fielen sie wieder zurück in ihr altes
Tempo.
    Dieses ruhige Pendeln, die hängenden Köpfe, die gleichgültigen Augen
– für Vendela waren das Details des täglichen Kampfes. Rosa, Rosa und Rosa
versuchten ihr deutlich zu machen, dass sie vollkommen unwichtig war, aber sie
irrten sich.
    Letzten Sommer hatte Henry ihr auch die Verantwortung für die Hühner
übertragen. Natürlich hatte sie auch die geschlagen oder zumindest nach ihnen
getreten, wenn sie ihr in die Quere gekommen waren.
    »Haut ab! Weg mit euch!«
    Aber da wurde der Hahn wütend. Er krähte lauthals, flatterte drohend
mit seinen Flügeln, hieb mit seinem Schnabel nach Vendela und jagte sie aus dem
Hühnerhaus und einmal quer über den Hofplatz.
    Sie heulte und schrie um Hilfe, aber sie musste allein damit fertig
werden. Henry war unten im Steinbruch, der Invalide saß oben in seinem Zimmer,
und ihre Mutter Kristin gab es nicht mehr.
    Henry sprach nicht mehr von seiner verstorbenen Frau, und Vendela
konnte sich kaum noch an sie erinnern, nicht an ihr Gesicht, ihren Geruch.
    Die einzigen Erinnerungsstücke waren ein Stein auf dem Friedhof von
Marnäs, eine ovale Fotografie, die in der Küche hing, und ein kleines
Schmuckkästchen, das in Henrys Schlafzimmer stand.
    Vendela spürte auch einen tiefen Schmerz in ihrem Körper, aber der
kam sicher nur daher, dass sie den Kuhstock so oft schwang.
    Seit dem Tod der Mutter wirkt Henry, als wäre er die ganze Zeit auf
der Flucht, in seinen Gedanken und auch körperlich. Morgens auf dem Weg zur
Arbeit in den Steinbruch singt er auf der Treppe, abends sitzt er oft auf der
Veranda und starrt in die Sterne.
    Die meiste Arbeit, die auf dem Hof anfällt, überlässt er Vendela.
Sie muss putzen und ihre eigene Wäsche waschen, damit sie nicht nach Kuhstall
riecht, wenn sie in die Schule geht. Sie trägt die Lebensmittel aus dem Keller
in die Küche hinauf, denn einen Kühlschrank können sie sich nicht leisten. Sie
kümmert sich auch um die Felder mit den Kartoffeln, den Brechbohnen und den
Zuckerrüben. Und sie muss melken und die Rosas über den Weg zur Koppel und
wieder in den Stall begleiten.
    Diesen Weg geht sie jeden Tag mit ihrem Stock in der Hand, hin und
zurück. Vor und nach dem Unterricht in der Grundschule von Stenvik. Aber
zuallererst muss sie eine andere Sache erledigen: Sie geht in den ersten Stock
und gibt dem Invaliden sein Essen.
    Diese Aufgabe ist die schlimmste von allen.
    Vendela erinnert sich nicht mehr, wann der Invalide zu ihnen gezogen
ist, aber es war ein später Herbstabend, vielleicht war sie sechs oder sieben
Jahre

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