Blutstein
ist kein Witz«, widersprach eine Stimme am
anderen Ende des Tisches. »Die Menschen, die dort arbeiten, machen einen
phantastischen Job.«
Vendela sah, dass Per Mörner das Wort ergriffen hatte.
»Ganz genau, wir bekommen sehr viel für unser Geld«, stimmte
Christer zu und wandte sich wieder an Max. »Und wenn alles so schrecklich ist in
Schweden, warum leben Sie dann überhaupt noch hier?«
Max starrte seinen Nachbarn an und schien darüber nachzudenken, in
was für eine Gesellschaft er da geraten war.
»Der Sommer macht alles wieder wett«, erwiderte er und leerte sein
Glas.
»Wer möchte noch etwas Wein?«, fragte Vendela in die Runde.
Keiner antwortete, niemand schien sie gehört zu haben, also nahm sie
noch einen Schluck und lauschte der Stimmenkulisse. Wenn man die Augen schloss,
klang es fast wie Gesang. Eine Reihe von Solisten, die sich um ihren Tisch
versammelt hatten.
Einen kurzen Augenblick lang hatte sie einen merkwürdigen Geruch in
der Nase. Eine Mischung aus verbranntem Gummi und Schwefel, aber das war
wahrscheinlich nur Einbildung. Es war dunkel geworden im Steinbruch, überall
war es jetzt dunkel. Nur die Veranda war hell erleuchtet.
Am Rand des Steinbruches zu sitzen war, als würde man an der Kante
eines pechschwarzen Kraters stehen, eines schlummernden Vulkans.
Plötzlich hörte sie eine laute Männerstimme von der anderen
Tischseite:
»Kennt sich einer von den Zugezogenen hier im Norden von Öland aus?
Oder hat einer von Ihnen vielleicht früher hier gelebt?«
Erneut hatte sich der junge Nachbar Christer Kurdin zu Wort
gemeldet. Er hielt sein Weinglas in der Hand und sah die Gäste am Tisch reihum
freundlich an, als ob er nichts Böses im Schilde führte. Natürlich tat er das
nicht, er war nur neugierig.
»Vendela stammt von Öland«, sagte Max kurz angebunden.
Nicht alle Gespräche verstummten, aber viele Gesichter wandten sich
ihr zu. Sie nickte verlegen.
»Ich habe als kleines Kind hier gelebt.«
»Auch in Stenvik?«, hakte Marie Kurdin interessiert nach.
»Nordöstlich davon ... wir hatten einen kleinen Bauernhof.«
»Das klingt aber idyllisch. Mit Kühen, Gänsen und Katzen?«
»Nur Hühner ... und ein paar Kühe«, antwortete Vendela. »Ich habe mich
um sie gekümmert.«
»Wie idyllisch«, wiederholte Marie Kurdin. »Die Stadtkinder von
heute sollten auch lernen, sich um Tiere zu kümmern.«
Vendela nickte. Sie wollte nicht so gern an die drei Rosas denken.
An den Frust und die Sehnsucht, dem allem zu entfliehen. Woher kam das nur?
Rosa, Rosa und Rosa waren schon lange tot. Alle Wesen, die sie auf
der Insel gekannt hatte, waren schon lange tot.
Sie nahm einen Schluck Wein.
Gerlof Davidsson saß ihr schräg gegenüber und schien sich
wohlzufühlen. Vendela lehnte sich ein bisschen vor und fragte ihn:
»Mein Vater war auch Steinhauer hier, er hieß Henry. Kannten Sie ihn
zufällig, Gerlof?«
Er sah sie freundlich an, hatte sie aber offensichtlich nicht
verstanden. Sie erhob ihre Stimme:
»Kannten Sie Henry Fors, Gerlof?«
Jetzt hatte er sie gehört, und ihre Frage ließ sein Lächeln ersterben.
»Ja, Henry Fors kannte ich ... er war doch einer der Letzten, die im
Steinbruch gearbeitet haben. Er war ein hervorragender Steinschleifer. Sind Sie
mit ihm verwandt?«
»Er war mein Vater.«
Gerlofs Gesichtsausdruck veränderte sich, er sah verstimmt aus, oder
eher betrübt?
»Ach so, das tut mir leid ...«
Vendela wusste, worauf er anspielte, und senkte den Blick.
»Das ist lange her.«
»Ich habe Henry immer morgens mit dem Rad vorbeifahren sehen«,
erzählte Gerlof. »Manchmal sang er so laut, dass es nur so über die Alvar
dröhnte.«
Vendela nickte.
»Er hat auch zu Hause viel gesungen.«
»Henry ist ziemlich früh Witwer geworden, nicht wahr?«
Erneut nickte sie.
»Meine Mutter starb nur wenige Jahre nach meiner Geburt. Ich
erinnere mich gar nicht mehr an sie ... aber ich glaube, dass mein Vater sie sein
Leben lang vermisst hat.«
»Haben Sie ihn in den Steinbruch begleitet?«
»Nur ein einziges Mal. Mein Vater sagte immer, das sei zu
gefährlich. Frauen und Kinder hätten im Steinbruch nichts zu suchen, das bringe
nur Unglück.«
»Ja, die Männer waren alle ein bisschen abergläubisch«, sagte
Gerlof. »Sie sahen die unterschiedlichsten Zeichen in den Steinen und glaubten
an Trolle und Gespenster. Besonders die Trolle sorgten für viel Kummer bei den
Steinhauern. Sie stahlen ihre Stemmeisen und Hammer und versteckten sie oder
ließen sie ganz
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