Blutstein
er ganz genau, wer er war.
»Filme!«, stieß er hervor.
Max wandte sich ihm zu.
»Wie bitte?«
»Filme und Zeitschriften.«
»Ach ja?«
Max lachte unsicher, als ob Jerry sich einen Scherz mit ihm
erlaubte. Jerry hingegen schien irritiert darüber, dass er offensichtlich nicht
ernst genommen wurde. Mit lauter Stimme fuhr er fort:
»Ich und Bremer und Markus Lukas ... Filme und Zeitschriften. Bräute!«
Alle Gespräche am Tisch verstummten schlagartig, alle Blicke ruhten
auf Jerry, nur Per wollte nicht aufschauen.
Jerry hingegen schien die Aufmerksamkeit sehr zu genießen, fast
stolz sah er aus. Er streckte den Arm aus und zeigte mit seinem Finger über den
Tisch. Per wusste, das es kein Entrinnen gab.
»Fragt Pelle!«
Per starrte vor sich hin und tat so, als würde er gar nicht zuhören,
als wäre Jerry es gar nicht wert, dass man ihm zuhörte. Als er sich endlich
aufraffte, den Kopf zu heben und seinen Vater anzusehen, war es bereits zu
spät.
Jerry hatte sich seine Aktentasche auf den Schoß gehievt – er hatte
sich geweigert, sie zu Hause zu lassen. Er ließ die Schnallen schnalzen und zog
etwas aus dem Inneren der Tasche. Es war eine Zeitschrift, erkannte Per, aus
dickem Hochglanzpapier.
Sein Vater warf sie in die Mitte des Tisches und lächelte stolz.
Der Titel der Zeitschrift prangte in roten Lettern auf dem Umschlag: BABYLON .
Darunter rekelte sich eine nackte Frau mit gespreizten Beinen auf einem Sofa
und lächelte.
Per stand auf. Es verging eine Ewigkeit, bis er imstande war, den
Arm auszustrecken und die Zeitschrift an sich zu nehmen. Aber natürlich hatten
schon alle gesehen, was darauf abgebildet war – Vendela Larsson hatte sich mit
weit aufgerissenen Augen vorgebeugt, um das Foto genau zu studieren.
Dazu dröhnte die Stimme seines Vaters quer über die Veranda:
»Bräute! Nackte Bräute!«
25
A m
Morgen nach dem Fest wollte Per einfach nicht wach werden. Es war Viertel vor neun.
Er blieb im Bett liegen, sah an die Decke und blinzelte.
Es war Gründonnerstag. Das Osterwochenende stand vor der Tür, oder
hatte es schon angefangen? Wie sollten sie es feiern, so wie die Dinge jetzt
standen?
Sie mussten versuchen, das Beste daraus zu machen, er hatte es Nilla
versprochen. Mit Eiern – Hühnereiern und Schokoladeneiern.
Da fiel Per das gestrige Fest wieder ein.
Jerrys heiseres Lachen, Vendela Larssons nervöses Lächeln den
anderen Gästen gegenüber.
Und mitten auf dem Tisch die Pornozeitschrift.
Im Haus war es still, aber in seinem schmerzenden Kopf hörte er das
Echo von Stimmen und Rufen. Er hatte zu viel Rotwein getrunken, das war er
einfach nicht gewöhnt. Nach dem peinlichen Zwischenfall mit der Zeitschrift
hatte Per noch drei oder vier Gläser hintereinander geleert, ehe Vater und Sohn
sich schließlich verabschiedet und auf den Heimweg gemacht hatten.
»Markus Lukas«, hatte Jerry mehrmals wiederholt.
Dieser Name und Vendelas Lächeln hatten in Per die Erinnerung an
Regina aufleben lassen, der er vor vielen Jahren an einem sonnigen und warmen
Frühlingstag begegnet war.
Sie hatte auch dieses nervöse Lachen gehabt, zwei große blaue Augen,
die umrahmt waren von kurzen braunen Haaren und hohen Wangenknochen voller
Sommersprossen.
War Regina seine erste große Liebe gewesen? Zumindest hatte er sie
wesentlich aufregender gefunden als alle anderen Mädchen aus der Schule. Älter
als er und so mondän und erfahren. Er war damals dreizehn Jahre alt gewesen,
und sie hatten an diesem besagten Tag mehrere Stunden lang nebeneinander im
Auto gesessen.
An einem Frühlingstag mit einem hübschen Mädchen einen Ausflug im
Auto zu unternehmen hätte ein Leichtes sein können. Aber nicht für Per.
Regina hatte auf dem Rücksitz gesessen, als Jerry und sein Kumpel
mit dem Cadillac bei Pers Mutter Anita vorgefahren waren, um ihn abzuholen.
Ausnahmsweise war Jerry an diesem Tag pünktlich. Sie würden das Osterwochenende
miteinander verbringen, Vater und Sohn.
Wie alt mochte Regina gewesen sein? Einige Jahre älter als Per, vielleicht
sechzehn oder siebzehn? Sie hatte ihn angelacht, und als er sich neben sie ins
Auto gesetzt hatte, hatte sie ihm über den Kopf gestreichelt, als wäre er ein
kleiner Junge.
Das war Jerrys Schuld, denn kaum hatte er Platz genommen, nannte
sein Vater ihn »mein Junge«.
»Regina«, sagte Jerry, eine große schwarze Sonnenbrille auf der
Nase, er blies den Zigarrenqualm aus und drehte sich zu ihnen um, strich Regina
über die Wange und sagte: »Das ist
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