Blutstein
nehmen
musste.
»Ein Kännchen«, sagt Henry leise. »Ich glaube, ich habe irgendwo
noch eine halb volle Kanne mit Petroleum.«
Die Polizisten nicken.
»Ich glaube, der Fall ist klar«, sagen sie und sind sich einig.
»Ja.«
Es wird still. Plötzlich streckt sich Henry, holt tief Luft und sagt
mit fester Stimme:
»Nein.«
Überrascht sehen ihn die Beamten an.
»Es ist gar nichts klar. Ich habe nichts mit dem Brand zu tun ...das
Petroleum kann doch jeder ausgegossen haben. Ich war die ganze Zeit im Haus,
bis der Brand ausgebrochen ist. Das kann meine Tochter bezeugen, auf Ehre und
Gewissen.«
Nun sind alle Blicke auf Vendela gerichtet. Ihr wird eiskalt.
»Ja«, stößt sie endlich hervor, und dann lügt sie weiter. »Papa war
die ganze Zeit im Haus. Er schläft direkt neben meinem Zimmer, und ich höre ihn
immer, wenn er aufsteht, aber das ist er nicht.«
Henry zeigt auf die Stiefel, die vor ihm auf dem Tisch stehen.
»Und die da gehören mir gar nicht.«
»Aber die standen in Ihrem Flur«, entgegnet der eine Wachtmeister.
»Wem gehören sie dann?«
Henry geht zum Fuß der Treppe, die in den ersten Stock führt, und
sagt:
»Kommen Sie mit nach oben, dann werden ich es Ihnen zeigen.«
41
G erlof
gab sich große Mühe, um genügend leere Flaschen zu bekommen, in denen er seine
kleinen Schiffe segeln lassen konnte – jeden Abend trank er ein Glas Wein zum
Essen. Aber seine Modellbautätigkeit hatte er auch nach Ostern nicht wiederaufgenommen,
und mit dem Viermastvollschiff hatte er noch nicht einmal angefangen. Die
meiste Zeit verbrachte er damit, zu schlafen, auf seinem Gartenstuhl in der
Sonne zu sitzen – und in Ellas Tagebüchern zu lesen.
Er las sie mit System, immer eine Seite am Stück, und dann legte er
das Buch auf den Gartentisch und dachte über das Gelesene nach.
Heute ist der 18.
September 1957.
Ich schäme mich
ein bisschen, dass ich mir nicht häufiger die Zeit nehme, ein paar Zeilen zu
schreiben. Aber jetzt ist es wieder so weit. Ja, es ist eine Menge passiert,
wir waren auf der Beerdigung von Oskar Svensson in Kalmar, und ich habe meinen
zweiundvierzigsten Geburtstag gefeiert.
Letzten Sonntag
waren wir auf der Konfirmation meines Neffen Birger in der Kirche von
Gärdslösa, es war eine sehr feierliche Zeremonie, und Vikar Ek hat ziemlich
schwere Fragen gestellt.
Gerlof hat
gestern den Zug genommen und ist zum Hafen gefahren, heute Morgen hat er sich
mit dem Frachter auf den Weg nach Stockholm gemacht, und die Mädchen haben eine
Fahrradtour nach Långvik unternommen. Also war ich wieder allein im Haus, aber
das kann zwischendurch auch mal ganz angenehm sein.
Heute war es sehr
bedeckt, und der Wind hat sich im Lauf des Vormittags zu einem ersten
Herbststurm über der Ostsee entwickelt. Ich weiß, dass Gerlof mit den Wellen zurechtkommt,
aber Gott behüte ihn, dass ihm nichts passiert. Er wird noch mindestens zwei
Monate zur See fahren müssen.
Jetzt sitze ich
gerade auf der Veranda und schreibe dies.
Als die Mädchen
aufgebrochen waren, ging ich nach draußen und entdeckte etwas Merkwürdiges auf
der untersten Treppenstufe: Dort lag ein Schmuckstück. Eine silberne Brosche in
Form einer Rose, aber kann das echtes Silber sein? Vermutlich hat mein kleines
Kerlchen sie dort hingelegt, ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll, es
kommt mir nicht richtig vor.
Nach dieser Lektüre saß Gerlof eine Weile still im Garten und dachte
nach. Dann erhob er sich und ging ins Haus.
Ellas gelbes Schmuckkästchen hatte er all die Jahre behalten, er
hatte es in seiner Kommode unter seiner alten, ausgeblichenen Schiffsflagge
versteckt. Jetzt holte er es hervor, öffnete den Verschluss und sah hilflos in
Wirrwarr von Armbändern, Ketten, Ringen und Ohrringen. Es lagen auch ein paar
Broschen dazwischen, die dringend gereinigt werden müssten. Eine von ihnen
hatte die Form einer Rose und einen roten Stein in der Mitte.
Vorsichtig hob Gerlof die Rose hoch.
Hatte er Ella jemals diese Brosche tragen sehen? Er konnte sich
nicht erinnern.
42
W ie
angewurzelt standen Jerry und Marika im Flur des Krankenhauses und starrten
einander an.
Per stand daneben und wäre in diesem Augenblick aber am liebsten
ganz woanders gewesen. Auf der anderen Seite des Sundes zum Beispiel – auf
einer Joggingtour mit Vendela Larsson. Aber er war nun mal hier.
Soeben waren Jerry und er aus dem Fahrstuhl gestiegen und direkt in
Marikas Arme gelaufen.
»Hallo, Jerry!«, sagte Marika leise. »Wie geht es
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