Blutstern
ein romantisches Licht über den Schlossterrassen. Er hatte einen Tisch reserviert, einen schönen Tisch, abseits vom Trubel. Die mächtige Sandsteinmauer des Aschaffenburger Schlosses, die aus groben Quadern bestand, erhob sich direkt hinter ihnen.
»Es hat wieder wunderbar geschmeckt«, seufzte Ilona zufrieden.
»Das freut mich«, sagte er.
Er hatte seine Hand auf die ihre gelegt und bestellte noch ein Glas Wein für sie, einen Frankenwein aus der Hofkellerei Würzburg, dem Hauptlieferanten der Schlossweinstuben. Sie kannten sich inzwischen über vier Wochen, hatten mehrere Ausflüge unternommen und abends zusammen gegessen. Geld spielte für ihn nach wie vor keine Rolle. Er holte sie mit seinem dunkelblauen Mercedes 280 SLC ab, war überall bekannt und wurde überall bevorzugt bedient.
»Wollen wir noch einen Spaziergang unternehmen?«, fragte er. »Ich würde dir gern noch etwas zeigen.«
Ilona zögerte. Sie fragte sich, was er vorhatte, dachte noch mit Schrecken an ihren nächtlichen Spaziergang zur Teufelskanzel, sah ihn vor sich, wie er sie leidenschaftlich geküsst und etwas vom Satan gemurmelt hatte. Das war das Einzige, was sie an ihm störte. Ständig kam er auf den Satan zu sprechen, redete von der Befreiung des Menschen, wetterte gegen die Fesseln der Konventionen, wobei sie den Eindruck hatte, dass es ihm in Wirklichkeit nur darum ging, wann sie seinem Drängen endlich nachgab. »Wenn du möchtest«, sagte sie leise. Es war ein schöner Abend gewesen und so wollte sie ihn nicht enttäuschen.
»Also, los, komm«, freute er sich. Er zahlte und gab wie immer ein groÃzügiges Trinkgeld. Nachdem sie aufgestanden waren, legte er seinen Arm um ihre Hüfte und zog sie mit sich über die Schlossterrasse. An der Sandsteinmauer, in der die Terrasse hoch über dem Main ihren Abschluss fand, blieben sie stehen.
»Schau, der Main liegt ganz ruhig da. Ein wunderschöner Abend heute«, sagte er und sah sie mit seinen dunklen Augen an. Oft hatte sie in diese Augen geschaut und sie wusste, was jetzt kommen würde. Es schien ihn nicht zu stören, dass ihnen die gesamte Terrasse zusah. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände, bedeckte es über und über mit Küssen, bevor er auf ihrem Mund sein Ziel erreichte.
»Bitte, nicht so wild. Alle schauen uns zu«, flüsterte sie.
»Das macht nichts«, lachte er. »Denk nicht an die anderen. Wir leben unser Leben und scheren uns nicht um die Konventionen.«
Da waren sie wieder, seine Konventionen. Es hatte keinen Zweck, ihm in diesem Punkt zu widersprechen. Sie hatte es versucht, aber nur mit dem Ergebnis, dass er ihr einen stundenlangen Vortrag über Gott und die Welt und sogar den Satan und die Hexen gehalten hatte.
»Der Satan ist der Gegengott«, hatte er gesagt. »Er befreit uns. Lieber ein wenig mit dem Teufel im Bunde als ewig in Ketten.«
Ilona machte das Angst. Doch sie liebte ihn. Und sie glaubte an die Kraft der Liebe, war sich sicher, dass sie mit ihrer Liebe sogar den Satan bezwingen könne. Also sagte sie diesmal nichts, sondern begleitete ihn den Treppenabgang zur Mainpromenade hinab. Rechts sah man durch das Gatter des Kräuter- und Gewürzgartens der Schlossweinstuben, links stieg die Sandsteinmauer bestimmt vier Meter in die Höhe, vielleicht auch fünf. Die Mauer war wild bewachsen. In den Spalten zwischen den Steinen hatten sich Efeu und andere Pflanzen festgesetzt. Sogar einer einsamen Sonnenblume war es gelungen, dort Fuà zu fassen. Vom Ende des Treppenabganges erreichten sie die Mainpromenade. Ruhig und schwarzgrau lag der Fluss vor ihnen im Mondlicht. Ein leichter Wind und die Strömung kräuselten seine Oberfläche. Einige Enten kuschelten im Ufergras, die Köpfe unter den Flügeln, tief schlafend. Die Turmuhr der Stiftskirche schlug zweimal.
»Es ist bereits halb Zwölf«, flüsterte Ilona.
»Ja, komm, wir müssen uns beeilen.«
Schmalblättrige, mannshohe Weidebüsche wucherten am Ufer, das Krächzen einer Krähe wehte von der Maininsel herüber, die den Fluss hier in zwei Arme teilte, der Wind blies stärker, weshalb Ilona fröstelte.
»Mir wird kalt.«
»Das macht nichts. Wir sind gleich da. Es wird dir gefallen.«
Was sollte ihr gefallen? Das hatte er bei der Teufelskanzel auch gesagt, dachte Ilona. Der Mond warf einen silbernen Streifen über das Wasser. Einige
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