Blutstern
passieren.«
»Den Brief habe ich doch seit Monaten. Ich hatte Angst, dass der Kommissar mich ausfragen würde.«
Wieder schwiegen sie. Thomas bekam das deutliche Gefühl, dass ihm seine Oma etwas verheimlichte.
»Was soll er denn nicht erfahren, der Kommissar?«
»Ach weiÃt du, Thomas«, seufzte Maria Beletto, »ich habe deiner Mutter hoch und heilig versprochen, dass ich eine Sache nie verrate. Im Angesicht der Schmerzhaften Muttergottes habe ich es ihr geschworen. Nun trage ich das Geheimnis mit mir herum und weià nicht mehr, was ich machen soll.«
Die alte Frau sah traurig aus, verzweifelt, um Jahre gealtert. Ihre Haut wirkte kalkweiÃ, blass, die Falten schienen das Gesicht noch tiefer zu durchfurchen als sonst. Ihren braunen Augen fehlte der Glanz. Jede Freude war aus ihnen gewichen.
»Schon gut, Oma. Wenn du es ihr versprochen hast.«
Es war Thomas klar, dass er sie nicht bedrängen durfte. Wenn sie bei der Schmerzhaften Muttergottes aus der Sandkirche geschworen hatte, war da nichts zu machen. Es gab keinen wichtigeren und heiligeren Ort für seine Oma, weshalb er erst gar nicht versuchte, mit ihr über diesen Schwur zu diskutieren.
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Am darauf folgenden Montag wurde Thomas Drucker von seinem Chef, Bernhard Flieger, zu einer Besprechung einbestellt.
»Hallo, Thomas, ich hoffe es geht dir gut«, begrüÃte er ihn hinter seinem mächtigen Mahagonischreibtisch. »Karin, bringst du bitte zwei Kaffee? Du trinkst doch einen, Thomas?«
»Ja, klar.«
Bernhard Flieger duzte seine Sekretärin inzwischen, was den Gerüchten in der Firma neue Nahrung gab. Thomas erzählte seinem Chef und gleichzeitig dem Vater von Sabine, dass es ihm nicht gut gehe, dass er vor allem Sabine vermisse und sich ziemlich verlassen fühle.
»Du verstehst sicher, dass wir um Sabine Angst haben.«
»Ja, klar, aber es ist hart. Ich liebe sie und möchte sie natürlich gerne sehen.«
Darauf ging Bernhard Flieger nicht weiter ein. »Vielleicht klärt sich alles und die Täter werden gefasst«, sagte er. »Ich musste dich leider wegen einer anderen Sache einbestellen. Michael Hofmann hat sich über dich beschwert. Er meint, du vernachlässigst deine Arbeit. Vor allem die Online-Geschäfte würden ganz schlecht laufen.«
Michael Hofmann war nicht irgendjemand, sondern der Enkel des Seniorchefs, Sohn von dessen Tochter Gisela und Carsten Hofmann, der im Bankgeschäft tätig war. Michael Hofmann war 30 wie Thomas, hatte Betriebswirtschaft in Mannheim studiert, war sehr stolz auf sein gutes Examen und fing an, sich in verschiedene Bereiche des Unternehmens einzuarbeiten. Er hatte eine gewisse Ãhnlichkeit mit seinem Opa Johann Flieger, war groà gewachsen, schlank, sehr gut aussehend und höflich, aber sehr bestimmt. Wenn der sich über einen beschwerte, konnte man sicher sein, dass er mit seinem Opa darüber gesprochen hatte, mit dem er sich bestens verstand. Er ist die Allzweckwaffe von Johann Flieger, hieà es in der Firma, und alle hatten Respekt vor ihm.
Thomas schluckte und merkte, wie ihm der Schweià unter den Achselhöhlen rann. Der Vorwurf war ihm unangenehm und er fragte sich, ob er tatsächlich etwas vernachlässigt hatte. »Eigentlich sind wir überall sehr aktiv, ich wüsste nicht, was wir versäumt haben sollten.«
»Im Detail kann ich dir das nicht sagen. Michael hat sogar mit dem Senior gesprochen. Am besten wir rufen ihn einfach kurz dazu.«
Bernhard Flieger wählte eine Nummer. »Michael, kommst du bitte mal. Ich sitze gerade mit Herrn Drucker zusammen. Du weiÃt, worum es geht.«
Thomas wurde es zunehmend heiÃer in seinem Anzug. Er stellte sich vor, dass man die Schwitzflecken unter seinen Achseln sehen würde, er fühlte sich in der Klemme, aber er konnte nicht entkommen.
»Er wird sofort da sein, dann können wir das klären.«
Endlose Minuten vergingen. Karin Duckstein brachte den Kaffee. Sie stolzierte in ihren hochhackigen Pumps durchs Zimmer und rückte einen zweiten Stuhl vor dem Schreibtisch von Bernhard Flieger zurecht.
»Danke Karin. Vielleicht noch etwas, Thomas?«
»Gerne, ein Wasser würde ich trinken.«
»Kommt gleich.« Karin Duckstein lächelte ihn an. Wahrscheinlich hatte sie mitbekommen, worum es ging und würde mit gespitzten Ohren im Vorzimmer sitzen und lauschen.
»Hallo, Michael«, begrüÃte
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