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Blutstern

Blutstern

Titel: Blutstern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Woelm
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über ihm zusammenstürzte. Wenn sie ihn nicht körperlich ermorden konnten, war es ihnen seelisch fast gelungen. Ich muss Maria besuchen, dachte er. Sie war seine letzte Zuflucht, seine Oma, wie er sie nannte.
    Etwa eine halbe Stunde später stand er vor dem Haus von Maria Beletto in der Sandgasse. Auf sein Klingeln erfolgte keine Reaktion, auch als er Sturm klingelte, öffnete sie nicht. Sie wird bestimmt in der Sandkirche beten, dachte er. Er wusste, dass Maria fromm war, sehr fromm sogar. Und ihr heiligster Platz war die Sandkirche. Dort konnte man sie zu allen Tageszeiten antreffen. Er eilte dorthin und genoss die kühle Luft, die ihm entgegenschlug. Er ging zwischen den grauen, massiven Holzbänken nach vorne in Richtung Altar. Wie vermutet, kniete Maria in der ersten Bankreihe und betete. Die Kirche strahlte diese feierliche Stille aus, wie sie für solche alten Gotteshäuser typisch war. Thomas Drucker ging leise. Er wollte seine ›Oma‹ nicht stören. Er sah links die prunkvolle Kanzel, sah die beiden Nebenaltäre mit ihren Bildern, schaute einen Moment lang zum Deckengewölbe über dem Altar, das mit seinen Ornamenten eine vornehme Leichtigkeit ausstrahlte.
    Maria drehte sich um. Sie freute sich, stand auf und schloss Thomas in ihre Arme. Sie musste nach oben schauen, reckte sich in die Höhe, denn er war fast zwei Köpfe größer als die kleine, alte Frau.
    Â»Komm, mein Lieber, sprich ein Gebet mit mir«, sagte sie.
    Das konnte er ihr nicht abschlagen. Sie war inzwischen 80, ihr Mann Alberto vor vier Jahren verstorben. Seit dem Mord an seiner Mutter hatte sie nur noch ihn. Also kniete er nieder und betete mit ihr. Anschließend verließen sie die Kirche.
    Â»Komm mit zu mir«, sagte sie. »Wir können zusammen essen.«
    Sie humpelte mit ihrem schwarzem Gehstock über das Pflaster der Sandgasse, schloss die Haustür auf, quälte sich drei Treppen in das oberste Stockwerk hinauf und öffnete mit ihrem schweren Schlüssel die hölzerne Wohnungstür.
    Â»Puh, geschafft«, freute sie sich. »Ist ganz schön heiß heute. Unter dem Dach staut sich die Hitze.«
    Sie humpelte in die Küche. Seit ihrem Sturz zog sie das rechte Bein noch stärker nach. »Ich mach uns Spaghetti mit Tomatensoße. Setz dich so lange ins Wohnzimmer, lies die Zeitung oder so.«
    Thomas fühlte sich wohl in ihrer Wohnung. Er kannte die Möbel seit seiner Kindheit. Alles strahlte Geborgenheit für ihn aus. Er sah sich einige Zeitschriften an, die sich auf der Kommode stapelten, als aus einem der Hefte ein Brief fiel, ohne Adresse, ohne Absender, ohne Briefmarke. Den kenne ich doch, dachte er. Genau so sah der Drohbrief aus, den er Ende Januar erhalten hatte. Er nahm den Brief und ging damit in die Küche. Maria schüttete gerade die Spaghetti in ein Sieb. Sie erschrak, als sie ihn mit dem Brief sah.
    Â»Was ist das für ein Brief, Oma?«
    Â»Ach nichts, ist älter, ich wusste gar nicht mehr, wo er war.«
    Â»Darf ich ihn mir mal ansehen?«
    Â»Ach lass nur, Thomas, er würde dich wahrscheinlich aufregen.«
    Thomas ahnte Böses. »Könnte es sein, dass du bedroht wirst?«, fragte er.
    Â»Woher weißt du das?«
    Â»Ich habe einen solchen Brief erhalten. Bei mir war eine Drohung aus Zeitungsbuchstaben aufgeklebt. Kann ich nun deinen Brief mal ansehen?«
    Â»Wenn du unbedingt willst.«
    Thomas öffnete den Umschlag und zog das Blatt heraus, auf dem mit ausgeschnittenen Zeitungsbuchstaben ein Satz aufgeklebt war.
    â€ºEin falsches Wort und du bist tot‹. Genau wie bei mir, dachte Thomas. »Seit wann hast du den Brief?«
    Â»Schon länger. Ich glaube, er kam im Januar.«
    Â»Nach dem Gottesdienst in der Stiftsbasilika?«
    Â»Ja, genau, woher weißt du das?«
    Â»Weil ich den gleichen Brief abends nach dem Gottesdienst unter meiner Wohnungstür fand.«
    Â»Mit genau dem gleichen Satz?« Maria Beletto war sprachlos. Sie brachte nacheinander Spaghetti, Tomatensoße, Ciabatta und Parmesan ins Wohnzimmer auf den großen runden Tisch.
    Â»Lass es dir schmecken, Thomas.«
    Â»Danke, ebenfalls.«
    Eine Zeit lang aßen sie schweigend. Thomas schmeckte es gut, aber er war mit seinen Gedanken bei dem Drohbrief.
    Â»Hast du den Brief dem Kommissar gezeigt?«, fragte er.
    Â»Nein, bisher nicht.«
    Â»Der Brief ist wichtig. Man droht dir. Womöglich könnte etwas

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