Blutstern
Der Mond beleuchtete die Savanne, ein Termitenbau reckte sich in die Nacht und in einiger Entfernung zeichneten sich schwarzgrau mehrere Schirmakazien vor dem etwas helleren Nachthimmel ab. Bald war der Landrover nur noch leise zu hören, dann war es ganz still.
Gott sei Dank, dachte Thomas, sie haben mein Verschwinden nicht bemerkt. Er versuchte seine Arme zu bewegen. Zwar schmerzte die linke Schulter, doch es lieà sich aushalten. Dann die Beine. Vorsichtig versuchte er sich aufzurichten. Zwar taumelte er zunächst, noch von dem Sturz benommen, aber er schaffte es, sich aufrecht hinzustellen. Jetzt nichts wie weg, dachte Thomas. Wenn sie seine Flucht entdeckten, musste er über alle Berge sein. Zuerst wollte er die Dinge einsammeln, die er aus dem Fahrzeug geworfen hatte. Er legte sich die Plane über die Schulter und ging rückwärts den Reifenspuren entlang. Nach einigen Hundert Metern fand er den Wasserkanister, ein Stück weiter die Seile und endlich den rostigen Klappspaten. Jetzt nichts wie weg von diesen Reifenspuren, dachte er, querfeldein, egal wohin.
Thomas packte den Wasserkanister, den Klappspaten und die Seile in die Abdeckplane, warf sich das Ganze über die Schulter und machte sich auf den Weg. Seinen Brustbeutel mit Pass und Kreditkarte hatten sie zum Glück unter seiner Safari-Jacke nicht entdeckt. Auch den Massai-Schmuck von seinem Freund aus Mombasa trug er noch. Seine FüÃe schmerzten und seine Schulter tat weh. In der Ferne heulte eine Hyäne, aber das langsam ansteigende und dann wieder abnehmende Gejaule kümmerte Thomas im Moment wenig. Die Tiere waren im Augenblick nicht seine schlimmsten Feinde.
Einige kräftige Schirmakazien lagen auf einer Anhöhe im Mondlicht. Die könnten mir Schutz bieten, dachte Thomas, und hielt darauf zu. Schutz vor diesem Safari-Fahrzeug, das irgendwann zurückkommen würde. Dort angekommen, warf er sein Seil nach oben, sodass es sich über einem armdicken Ast verfing und er sich daran hochziehen konnte. Dann kletterte er nach oben. Ein Leopard konnte ihn hier erreichen, aber man musste ja nicht gleich mit dem Schlimmsten rechnen. Er richtete sich in einer kräftigen Astgabel ein, zurrte mit dem Seil die Plane fest und versuchte, sich etwas zu erholen. Leise säuselte der Wind in den Zweigen der Akazie. In der Ferne hörte man das dumpfe Brüllen eines Löwen. Begleitet wurde das Gebrüll vom Heulen einer Hyäne, die wohl ebenfalls Anspruch auf ein Beutetier erhob. Er lauschte in die Nacht hinaus und lieà seinen Blick über die Ebene wandern, die unter dem gelblichen Licht des Mondes lag.
Irgendwann sah Thomas in einiger Entfernung ein Fahrzeug im Kreis fahren. Sucht mich nur, dachte er. Sucht mich in der falschen Richtung und sucht mich auf dem Boden. Ihr könnt ja nicht wissen, dass ich inzwischen zu einem Vogel geworden bin, der sich in die Lüfte erhoben hat und in den Bäumen nistet, wo ihr ärmlichen Erdwürmer mich nie finden werdet.
16
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»Das hat uns gerade noch gefehlt â der Maulaff hat eine Tote entdeckt.«
Kommissar Rotfux war auÃer sich. Alle wussten, dass er den Maulaff nicht leiden konnte. Ãberall trieb er sich in Aschaffenburg herum, tauchte da auf, wo es etwas zu sehen gab, und Rotfux machte, wenn es ging, einen weiten Bogen um ihn. Doch diesmal ging es nicht. Der Maulaff hatte die Ermordete in der Sandkirche gefunden. Er würde ihn vernehmen müssen.
»Der wird sich ziemlich wichtig machen«, brummte Oberwiesner, der mit Rotfux in Richtung Sandkirche fuhr. Er lenkte den grünen Passat über die Willigisbrücke, links glänzte das Schloss in der Morgensonne, der Main zog friedlich seine Bahn und man konnte sich schwer vorstellen, dass nachts in dieser Stadt ein grausames Verbrechen geschehen war.
»Darauf kannst du schwören. Der wird sich mächtig aufblasen, wird nicht mehr aufhören zu reden, als ob wir nicht genug Probleme am Hals hätten.«
Rotfux war offensichtlich schlecht gelaunt, müde vom gestrigen Einsatz, der bis spät in die Nacht gedauert hatte, und so zog es Otto Oberwiesner vor, auf der restlichen Fahrt zu schweigen. Nach wenigen Minuten bogen sie in die AlexandrastraÃe ein und von dort links auf den kleinen Platz vor der Sandkirche. Wie üblich hatte sich bereits ein Menschenauflauf gebildet. Die Kollegen von der Streifenpolizei hatten den Zugang zur Kirche mit rot-weiÃen Bändern abgesperrt
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