Blutstern
ich möchte nicht indiskret sein ⦠«
»Ach was, Bernhard hätte sicher nichts dagegen, schlieÃlich geht es um die Firma.« Mit diesen Worten stolzierte sie wieder zurück ins Vorzimmer.
Ganz in Ruhe sah sich Thomas Drucker die Unterlagen durch. Er fand alles was er brauchte und wollte die Schreibtischschublade gerade schlieÃen, als ihm ganz hinten ein Register mit der Aufschrift âºprivatâ¹ auffiel. Er griff sich die Hängemappe und schaute hinein. Alte Briefe und Bilder waren zu sehen, die er hier nicht durchsehen konnte. Also fasste er einen beherzten Entschluss. Er versteckte die gesamte Hängemappe zwischen seinen übrigen Unterlagen und schloss die Schreibtischschublade. Im selben Augenblick kam Karin Duckstein wieder in Bernhard Fliegers Büro zurück. Ihm blieb fast das Herz stehen. Ob sie etwas gesehen hatte?
»Na, haben Sie gefunden, was Sie brauchen?«, flötete sie ihm entgegen.
»Ich glaube schon. Ich nehme einige Unterlagen mit und bringe sie zurück, sobald ich meinen Bericht für Herrn Michael Hofmann fertig habe.«
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Die Hängemappe mit der Aufschrift âºprivatâ¹ behandelte Thomas Drucker für den Rest des Tages wie eine heiÃe Kartoffel. Zunächst versteckte er sie in seinem Aktenkoffer im Büro, dann schmuggelte er sie abends aus der Firma.
Erst zu Hause, in seiner Wohnung in der Ãsterreicher Kolonie, lieà sich Thomas in den Ohrensessel seiner Oma fallen und sah die Mappe von Bernhard Flieger durch. Bilder und Liebesbriefe von verschiedenen Frauen waren ihm in die Hand gefallen und er schämte sich, sie überhaupt mitgenommen zu haben. Auch ein aufreizendes Foto von Karin Duckstein war dabei und ein Liebesbrief, in dem sie ziemlich offenherzig schrieb, was sie sich von Bernhard Flieger wünschte. Donnerwetter, dachte er, also stimmten die Gerüchte ⦠Als er die Mappe fast zur Seite legen wollte, fiel ihm ein vergilbtes Bild von den Aschaffenburger Schlossterrassen in die Hand, das ein glückliches Mädchen zeigte. Irgendwie kenne ich die, dachte er. Aber woher? Er nahm den zugehörigen Brief und las. Die junge Frau schwor Bernhard Flieger ihre Liebe, erzählte begeistert von einem Ausflug nach Miltenberg, schwärmte von seinem tollen Auto und von einer Liebesnacht auf seiner Jacht. Thomas Drucker rührten ihre Worte, doch er wusste nicht, warum. Sie schrieb so klar und rein, so herzensgut und völlig verliebt, dass er sich fragte, wer die Frau auf dem Bild war.
Er legte den Brief und die Hängemappe beiseite, bereitete sich Spiegeleier und Speck zum Abendessen, sah sich die Tagesschau an und lieà sich durch einen Krimi zerstreuen. In dem Film ging es um einen Liebesbrief an einen Ermordeten, um komplizierte Ermittlungen, um Schriftproben und grafologische Gutachten. Thomas musste darüber wieder an den Liebesbrief denken, der ihn so angerührt hatte. Die Schrift, schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf, er kannte die Schrift. Ganz aufgeregt durchwühlte er alte Briefe und Postkarten, die er von seiner Oma und seiner Mutter erhalten hatte. Dann konnte er die Tränen nicht mehr zurückhalten. Er erkannte, dass dieser Brief von seiner Mutter geschrieben war, dass diese wunderbare Liebesbezeugung von seiner ermordeten Mutter stammte.
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»Ist ja interessant«, sagte Kommissar Rotfux, als ihm Thomas Drucker tags darauf den Liebesbrief und das vergilbte Bild seiner Mutter zeigte. »Ihre Oma, Maria Beletto, hat ein groÃes Geheimnis aus Ihrer Vergangenheit gemacht. Vielleicht ist dies die Lösung. Bernhard Flieger könnte Ihr Vater sein.«
»Der Gedanke kam mir auch schon«, antwortete Thomas Drucker leise. »Und wie erfahre ich, ob er tatsächlich mein Vater ist? Kann man einen Vaterschaftstest machen?«
»Eigentlich nur mit seiner Zustimmung«, antwortete Rotfux. »Aber da wir es hier mit zwei Morden und mehreren Mordversuchen zu tun haben, bei denen die Vaterschaft als Motiv eine Rolle spielen könnte, nehme ich das auf meine Kappe. Wir werden einen solchen Test durchführen. DNA-Proben von Bernhard Flieger liegen uns vor. Sie müssten eben auch welche abgeben. In etwa zehn Tagen haben wir das Ergebnis.«
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Der Liebesbrief und das vergilbte Bild seiner Mutter brachten Thomas Drucker ziemlich durcheinander. Er hatte das Gefühl, auf einem Karussell zu sitzen, das sich immer schneller drehte. Bernhard Flieger womöglich sein
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