Blutstern
zu. »Bitte, Herr Hauser, nehmen Sie Platz.«
Flieger deutete auf den bequemen Besprechungsstuhl vor seinem Schreibtisch und lieà sich selbst wieder in seinen schweren lederbezogenen Chefsessel sinken.
»Wie ich höre, scheint Ihnen die Arbeit Spaà zu machen, Herr Hauser. Mein Enkel Michael hat mir berichtet, dass Sie sich erstaunlich schnell in alles eingearbeitet haben.«
»Oh, danke, ich versuche mein Bestes.«
Thomas fragte sich, ob er womöglich zu forsch aufgetreten war und seine schnelle Einarbeitung unglaubwürdig wirkte.
»Ich wollte ein wenig über Kenia mit Ihnen plaudern«, unterbrach Flieger seine Gedanken. »Hier, sehen Sie, die habe ich von einer meiner Safaris mitgebracht.« Er erhob sich und strich fast liebevoll mit den Fingern über einen der Massai-Speere, die hinter seinem Schreibtisch an der Wand befestigt waren. Thomas tat, als ob er die traditionellen Waffen des Seniorchefs zum ersten Mal in seinem Leben gezeigt bekam.
»Man findet selten solche schönen Stücke«, lobte er die Speere. »Ich habe selbst einen zu Hause, aber er ist nicht ganz so gut gearbeitet.«
»Oh, ist ja interessant, Herr Hauser. Den müssen Sie mal mitbringen. Würde mich sehr interessieren.«
»Wenn ich mal Zeit und Gelegenheit habe«, murmelte Thomas.
»Sie dürfen Ihren Speer gern im Büro aufhängen«, lachte Flieger. »In puncto Kenia ist bei mir alles erlaubt.« Der alte Herr nahm einen Schluck aus seiner Tasse. »Das ist Schwarztee aus Kenia«, murmelte er. »Schmeckt vorzüglich und erinnert mich an die Hochebenen mit den Plantagen, die ich dort gesehen habe. Wollen Sie nicht eine Tasse?«
Thomas hatte das Gefühl, diesmal nicht ablehnen zu dürfen. »Ich würde ihn gern einmal probieren«, antwortete er und die Augen des Seniorchefs leuchteten. Er bat seine Sekretärin um eine weitere Tasse und goss Thomas eigenhändig aus seiner Kanne ein.
»Mhmm, wirklich sehr gut«, lobte er den dargebotenen Tee.
»Sehen Sie, Herr Hauser, auf mich können Sie sich verlassen, wenn es um Kenia geht«, lachte der Seniorchef.
AnschlieÃend verfinsterte sich sein Gesicht. Er sah plötzlich traurig aus und das Strahlen war aus seinen Augen gewichen. Einen Moment lang sank er in seinem Ledersessel zusammen, als ob ihn eine schwere Last erdrückte. Dann schien er sich einen Ruck zu geben und richtete sich in seinem Sessel wieder auf. »Eine Sache lässt mir keine Ruhe, Herr Hauser. Das Verschwinden Ihres Vorgängers. Ich fühle mich verantwortlich, da ich ihn nach Kenia geschickt habe.«
Thomas Drucker tat der Seniorchef regelrecht leid, als er das sagte. Fast fühlte er sich veranlasst, sein Geheimnis preiszugeben. Um ein Haar wäre er aufgestanden, hätte sich vor dem alten Herrn verbeugt und ihm gesagt, wer er wirklich sei und dass er sich keine Sorgen mehr machen müsse. Aber die Ermahnungen von Kommissar Rotfux, keine Fehler zu begehen, also niemanden einzuweihen, hielten ihn zurück.
»Das verstehe ich«, sagte er deshalb nur. »Sie können doch nichts dafür. Man weià doch gar nicht, was überhaupt passiert ist«, versuchte er den alten Mann zu trösten.
Johann Flieger sah so verzweifelt aus, wie ihn Thomas noch nie erlebt hatte. »Jetzt liegt mir meine Enkelin Sabine jeden Tag in den Ohren, ich solle etwas unternehmen, aber ich weià nicht mehr, was ich tun könnte ⦠Ich selbst kann in meinem Alter nicht nach Kenia reisen, telefoniert habe ich bis zum Umfallen mit allen Geschäftspartnern, aber niemand konnte mir weiterhelfen. Thomas Drucker ist wie vom Erdboden verschwunden.«
»Was hat das mit ihrer Enkelin zu tun?«, stellte sich Peter Hauser dumm.
»Ach wissen Sie, Herr Hauser, das ist eine lange Geschichte. Sabine hatte sich in Herrn Drucker verliebt, war sogar heimlich mit ihm nach Mombasa gereist, und jetzt ist sie todunglücklich, dass ihr Herzblatt verschwunden ist.«
Thomas musste sich beherrschen, um nicht laut aufzuschreien. Der alte Herr wusste gar nicht, welche freudige Botschaft er ihm gerade überbracht hatte. Sabine liebte ihn, liebte ihn offensichtlich immer noch, wenn sie ihrem Opa jeden Tag in den Ohren lag.
»Das ist natürlich schlimm«, sagte er, um überhaupt etwas zu sagen.
»Ich weià nicht einmal, ob es so schlimm ist«, murmelte Johann Flieger. Er sprach gedankenverloren, als ob er mit
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