Blutsvermächtnis (German Edition)
erneut. Nicht noch zwei solche Nächte … alles würde sie tun, nur um nicht zu träumen. Weder bei Tag noch bei Nacht.
San Pedro de Atacama – Chile
N oah hatte in Calama einen Leihwagen angemietet. Der Weg nach San Pedro de Atacama erwies sich als beschwerlich und langwierig. Sie fanden eine verstopfte Strecke vor, Rettungsfahrzeuge aller Art und schwere Räumfahrzeuge wälzten sich über den glühenden Asphalt. Dutzende Teams mit Kamerawagen waren unterwegs. Im Radio erfuhren Nancy und er vom Ausmaß der Katastrophe. Das Erdbeben hatte eine Erzmine in der Nähe des Tals des Todes zum Einsturz gebracht. Bergleute galten als vermisst und es startete eine groß angelegte Such- und Rettungsaktion.
Das Wüstengebiet um die Unglücksstelle war weiträumig abgesperrt. Gegen Mitternacht erreichten sie endlich die Ortschaft. Das Hotel, das man ihnen am Flughafen empfohlen hatte, war ausgebucht. Auch bei zwei weiteren Herbergen ernteten sie nur bedauerndes Kopfschütteln.
Nancy legte ihren Kopf zurück, drückte den Hebel an ihrem Sitz und brachte die Rückenlehne in eine fast waagerechte Position.
„Ich fürchte, wir müssen im Wagen übernachten. Ich bin auch viel zu müde, um noch länger zu suchen.“
„Davon werden wir nicht umkommen, oder?“ Noah tat es ihr gleich.
„Nee. Es sei denn, wir erfrieren.“
Er öffnete die Tür. „Ich werde in das Hotel gehen und fragen, ob sie uns wenigstens mit Wolldecken aushelfen können.“
„Hmm“, murmelte Nancy.
Als er zurückkehrte, schnarchte sie leise. Er legte ihr eine Decke um und stopfte sie unter ihren Schultern fest. Dann wickelte er sich ebenfalls ein und schloss die Augen.
In einem glich er seiner Schwester aufs Haar: Sie besaßen beide die Eigenschaft, zu häufig erst zu handeln und anschließend zu denken. Um den Fehler kein weiteres Mal zu begehen, fasste er die dramatischen Geschehnisse zusammen.
Nevaeh war in katastrophalem Zustand aus Chile zurückgekehrt. Dad war bei einer Schießerei ums Leben gekommen. Die chilenische Regierung warf ihm illegalen Waffenhandel vor. Die treue Catalina war auf grausame Art getötet worden. Sein Freund hatte ihn angreifen wollen. Er sollte ein Vampir sein. Was eigentlich war das Unglaublichste all dessen? Wahrscheinlich die Vampirgeschichte … Noah verzweifelte beinahe an dem Gedanken, wie es sein konnte, dass man sich in einem geliebten Menschen so täuschte. Musste er sich in der Tat damit abfinden, dass er nicht in einem Horrorstreifen gelandet war, sondern sich real mit der Tatsache auseinandersetzen, dass es so etwas wie Vampire gab?
Seine Logik wollte da nicht mitspielen. Nein, etwas in seinem Verstand weigerte sich ganz und gar, daran zu glauben.
Möglicherweise handelte es sich um eine Krankheit. Wenn Jayden in irgendeiner Form von so etwas betroffen war und sein Handeln ihm nicht bewusst, wenn er nicht für das verantwortlich gemacht werden konnte, was er getan hatte, dann würde er zu ihm stehen. Er würde versuchen, dem Mann zu helfen, dem er so viele Jahre seines Lebens geschenkt hatte. Und umgekehrt. Die Gefühle ließen sich nicht mir nichts, dir nichts aus dem Herzen tilgen.
Mit dem Eindruck, nicht eine Sekunde geschlafen zu haben, öffnete Noah die Augen. Sein rechtes Bein kribbelte und er musste mal dringend. Er stieg aus und drückte leise die Autotür zu. Sie standen auf einem kleinen Parkplatz, der zum Hotel Poblado Kimal gehörte. Er erleichterte sich in der Nähe eines Gestrüpps und ging zur Straße. Währenddessen lag sein neues Handy am Ohr. Eine Ansage verkündete zum x-ten Mal, dass Nevaehs Anschluss momentan nicht erreichbar sei.
Auf dem Bürgersteig blieb er stehen. Ein verbeultes Schild stand nicht am Rand, sondern gut zwei Fuß von der Bürgersteigkante Richtung Straßenmitte versetzt. Etwa alle fünfzig Yards beleuchteten Laternen die Fahrbahn mit weichem, gelbem Licht. An einigen Häusern strahlten zusätzlich Glühbirnen und beleuchteten die lehmverputzten Fassaden der Flachdachbauten. Hier und da fiel gelblicher Schimmer aus Fenstern, von denen manche mit Läden versehen waren. Der Himmel zeigte sich in Tintenblau und ließ bereits den Tag erahnen. Weit im Hintergrund erhob sich das Bergmassiv der Anden und er erkannte sogar die schneebedeckte Spitze des Vulkans Licancabur.
Aus den offenen Fenstern einer Taberna an der Ecke zog der Duft nach Kürbis, Knoblauch und Essig.
Doch der Eindruck einer südamerikanischen Urlaubsidylle trog. In dieser Stadt, dieser Region, konnte
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