Blutsvermächtnis (German Edition)
Sein obszöner Griff zwischen ihre Beine, das Reiben des Pistolenlaufs an ihrer Schamhatte sie innerlich explodieren lassen. Sie schrie auf, und dann tauchte der Schuss im Nebenraum ihre Gefühle in ein schwarz loderndes Höllenbad und demonstrierte machtvoll, dass der Siedepunkt ihrer Furcht längst nicht erreicht war. Varela hatte von ihr abgelassen und sie in den Speisesaal zurückgestoßen. Nachdem sie wie computergesteuert reagiert und Jaydens Verletzung notdürftig versorgt hatte, raste ihr Puls immer schneller, kalter Schweiß bildete sich auf der Haut, ihr Atem ging stoßweise. Die fünf auf sie gerichteten Maschinengewehre machten es nicht einfacher, die Kontrolle nicht zu verlieren.
Dabei blieben ihre Gedanken klar und sie wusste genau, dass sie sich weiterhin zusammenreißen musste. Auf keinen Fall durfte sie zulassen, dass sie anfing zu hyperventilieren. Leichter gesagt als getan. Sich auf das Ende ihrer kurzen und wertlosen Zeit auf Erden einzustellen und wenigstens in Frieden mit sich abzuschließen schien der Situation angemessen.
Jayden stöhnte und zerquetschte fast ihre Hand mit seinem Griff, doch genau das rief ein erneutes Aufbegehren hervor, das sie aus ihrer Resignation riss. Nevaeh bezwang die Panik mit eisernem Willen, aber die Angst blieb. Sie atmete tief durch und wischte sich mit den Fetzen ihrer Bluse über die Stirn. Auch Jaydens Haut tupfte sie ab und vergewisserte sich aufs Neue, dass kein Blut durch den Verband sickerte.
Immer wieder traf sie ein finsterer Seitenblick von Varela. Er unterhielt sich leise mit einem Soldaten. Sie versuchte, wenigstens Bruchstücke des Gesprächs aufzuschnappen, doch aus den vereinzelten etwas lauter gezischten Wörtern konnte sie sich keinen Reim machen. Als das Wort Santiago fiel, erinnerte sie sich an die drei Tage Gefangenschaft, an das Gefängnis, in das man sie gesteckt hatte. Sie zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Ihre Kehle wurde eng, die Luft schien sich zusammenzuballen, als wollte etwas jeglichen Sauerstoff komprimieren, um ihn ihr auf diese Weise vorzuenthalten. Noch immer wollte sich das Geschehen nicht vollständig aus der Schwärze schälen, doch sie wusste plötzlich, dass Varela sie nach der genauen Lage des Grabungsortes ausgefragt hatte.
Nevaeh spürte eine Ohnmacht nahen, der Schwindel verstärkte sich abrupt. Sie schloss die Augen und stöhnte. Doch dann erkannte sie, dass es keine Bewusstlosigkeit war, die der Taumel ihrer Sinne ankündigte. Sie fühlte sich plötzlich eher leicht und befreit, die Schmerzen ließen nach, ihre Angst wandelte sich in unbegreifliches Wohlbefinden. Als streifte der Hauch einer überwältigenden Magie ihre Seele. Sie hob den Kopf, schüttelte die Benommenheit ab. Dieses mystische Gefühl der Wonne hatte sie während der geruhsamen Zeiten nach Sonnenaufgang im Camp verspürt, in den Minuten, die sie von Tag zu Tag schmachtender auf das Auftauchen ihres Joggers gewartet hatte, um sich blühenden Fantasien im Sonnenschein hinzugeben. Na klasse! Eine unpassendere Empfindung hatte sie sich nicht aussuchen können, andererseits flüchtete sie nur zu gern hinein. Sie erwartete, dass sie in der nächsten Sekunde ein helles weißes Licht sehen würde …
Stattdessen öffnete sich die Tür des Restaurants. Nevaeh blinzelte irritiert. Feste Schritte verrieten, dass zwei Männer den Raum betraten. Während einer offenbar kurz hinter der Tür stehen blieb, schritt der andere zielstrebig auf den Coronel zu. In ihrem Blickfeld lag Varelas Gestalt, der neben eine deckenhohe Blumensäule getreten war. Er starrte dem Ankommenden entgegen. Sein Gesicht verriet Unmut. Wieder verstand Nevaeh die gedämpften Worte der kurzen Auseinandersetzung nicht, der Miene des Coronels entnahm sie jedoch, dass der Fremde der Befehlsgeber war und Varela extrem ungehalten, allerdings machtlos reagierte.
„Abzug!“, knallte sein Kommando wie eine Gewehrsalve durch den Speisesaal.
Die Soldaten salutierten und zogen sich eiligst zurück. Zuletzt verließ Varela das Paso Los Toros. Sie fing einen giftigen Blick von ihm auf, der, wäre dieser zum Töten fähig, ihr Ende einläuten würde. Das Zwischenspiel dauerte höchstens eine Minute. Sechzig Sekunden, die ihr höchst markant unter die Haut gingen. Die eindrucksvolle Präsenz des Fremden, das Raunen seiner Stimme, die pure Tatsache seiner Anwesenheit; all das musste ursächlich sein für die neuerliche Beschleunigung ihres Pulsschlags, die Trockenheit ihres Mundes, die
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