Blutsvermächtnis (German Edition)
Löwen aus einem Käfig gelassen, der sich, noch immer hoheitsvoll auf geschmeidigen Pfoten, auf die zuvor gaffende Masse wohlgenährter Menschen zubewegte. Die Pupillen des Raubtiers glühten. Fingerdicke Reißzähne schoben sich zwischen den Lippen hervor. Geifer lief aus den Mundwinkeln. Noah schüttelte den Kopf, aber das Bild blieb. Es mutete lächerlich an, wie eine Maske des Ekels die grotesken Züge überspannte und die Bestie in Menschengestalt sich den Schuh am Hosenbein über der Wade abrieb. Die bösartig gurgelnden Laute, die Jason ausstieß, dröhnten in Noahs Ohren.
Schmutz! Jay… sons Phobie!
Noah sah sich gehetzt um. Mit zwei langen Schritten hechtete er auf die Fensterbank zu und schnappte sich einen Blumentopf. Er riss die Pflanze heraus und schleuderte das Tongefäß in Jasons Richtung. Es zerschellte knapp vor seinen Füßen und bedeckte den Boden mit feuchter, schwarzer Erde. Noah jubilierte innerlich. Frisch gegossen, dank Catalinas Fürsorge überreichlich. Ein weiterer Topf flog hinterher.
Das Grollen aus dem sabbernden Maul des Scheusals schwoll zu einem Toben an. Jason nahm eine sprungbereite Haltung ein. Sein Körper waberte und schien sich zu verformen. Nichts Menschliches haftete ihm mehr an. Noah sah sein Ende kommen. In der nächsten Sekunde würde dieses Ungeheuer wie ein Geschoss auf ihn zufliegen und sich in seinem Fleisch verbeißen, ihm die Luftröhre herausreißen. Er schmetterte Jason die letzten drei Tontöpfe entgegen. Einer traf ihn. Braune Brühe mit schmutzigen Erdklümpchen rann an seinem weißen Hemd hinab, besudelte den edlen Stoff und durchtränkte ihn bis auf die Haut. Das Wüten verdichtete sich zu Orkanstärke. Jason gebärdete sich wie ein Wahnsinniger. Er zerrte an seinen Klamotten und fetzte sie sich vom Leib. Der Dreck der Blumenerde klebte dennoch an seiner Brust. Jason kreischte, dass die Scheiben klirrten.
Erst als eine fremde Stimme in Noahs Bewusstsein drang, realisierte er, dass jemand die Terrassentür von außen zertrümmert hatte und die Scherben ins Zimmer geflogen waren.
„Raus, Noah!“
Noahs Herzschlag stand nahe vor dem Kollabieren, sein Atem raste. Er schnellte wie eine Sprungfeder voran, sprang durch den glaslosen Türrahmen und rannte über die Veranda auf den Rasen. Er warf im Lauf den Kopf herum, rechnete mit Krallen, die sich in seinen Rücken bohrten. Als er erfasste, dass Jason ihn nicht verfolgte, blieb er in sicherer Entfernung stehen und drehte sich um. Für einen Moment sackte er nach vorn und stützte die Hände auf seine Oberschenkel. Er rang nach Atem, behielt den Rasenden im Haus im Auge. Jason tobte weiterhin, riss eine Decke vom Tisch und rieb sich den Brustkorb.
„Weg hier!“ Schmale Finger fassten nach seinem Arm und zogen energisch.
Seite an Seite stob er mit der Person davon. Ungehindert umliefen sie die Villa, gelangten an das Einfahrtstor und schlüpften hinaus auf die Straße. Lange blonde Haare wippten vor Noahs Nase. Die Gestalt nahm erneut Geschwindigkeit auf. Er sprintete hinterher. Nur wenige Yards, dann erreichten sie einen schwarzen Mercedes. Die Frau zog die Fahrertür auf und schwang sich auf den Sitz. Noahs Herz klopfte bis in die Ohren. Nach wie vor saß ihm die Panik im Nacken, ließ ihn den harten Griff spüren, mit dem er jeden Augenblick zurückgerissen würde und in den Fängen der Bestie landete.
Der Motor brüllte auf. Das Anfahren presste ihn in den Schalensitz. Schweiß floss ihm an den Schläfen hinab und das Keuchen seines und des Atmens der Fahrerin vermengte sich zu einer haarsträubenden Sinfonie.
„Nancy Scott!“, war alles, was Noah zwischen zwei Atemzügen hervorzupressen vermochte.
Tal des Todes, Atacamawüste – Chile
N evaeh machte blinzelnd das erste Glühen der Morgensonne am Horizont aus, noch Hand in Hand gehend mit der Nachtschwärze. Benommenheit hielt sie gefangen. Hatte sie das Bewusstsein verloren? Das war nicht mehr die Tiefgarage, sie lag auf dem Rücken im Sand. Eiserne Fesseln umklammerten ihre Lungen, sie bekam kaum Luft. Ihr Herzschlag pochte in einem wilden Rhythmus, als hielte ein Albtraum sie gefangen. Sie richtete sich abrupt auf. Das einsetzende Gedächtnis beraubte sie der Gnade des Blackouts.
„Dad!“
Ihr Schrei verhallte im Nichts. Nevaeh sprang auf. Stechender Schmerz riss sie zurück auf die Knie. Sie fing sich mit den Handflächen ab, schluckte brennende Tränen und versuchte im schwachen Licht, ihre Umgebung zu erkennen. Ein dunkles Gebilde
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