Blutsvermächtnis (German Edition)
seinen Schädel, sein Herz schrie mit jeder Faser dagegen an.
„Du willst es sehen, ja?“ Jayden schob sich den Stoff vom Kopf und nahm die Sonnenbrille ab.
Noah taumelte und fing sich an einer Kommode ab. Er fasste es nicht. Seine Welt brach seit Tagen Stück für Stück auseinander. Sollte das wirklich der Mann sein, mit dem er zehn Jahre seines Lebens verbracht hatte? Das musste ein furchtbarer Irrtum sein.
Jaydens Augen blitzten hasserfüllt. Feindseligkeit verzerrte sein Gesicht.
Noahs Magen verkrampfte sich. Die geballte Macht der Abneigung, die Jayden ausstrahlte, verursachte Übelkeit. Fassungslosigkeit. Entsetzen. Eisige Kälte ballte sein Herz wie von einer unbarmherzigen Faust umklammert zusammen. Die Hoffnung, sich geirrt zu haben, starb. Noahs Emotionen rebellierten, suchten verzweifelt nach einem Funken Zuneigung in Jaydens Zügen. Wo war die Liebe geblieben, die er zu spüren geglaubt hatte? Wo der sanftmütige und liebevolle Typ, der so gern kuschelte und die Zehen in weiche Wolle bohrte? Dieser Kerl, der ihm seine Zähne mit einem hämischen Grinsen präsentierte, ähnelte nur vom Aussehen her dem Geliebten. Das konnte unmöglich Jayden sein. Ausgeschlossen! Die Ausstrahlung hatte sich komplett gewandelt. Vor ihm stand ein kaltblütiger Irrer, dem vor Genugtuung an Noahs Verwirrung ein diabolisches Feuer aus den Augen sprühte. War das der Jayden, den er außerhalb ihres Zuhauses darstellte? Das war keinesfalls der Partner, den er liebte. Es musste ein Doppelgänger sein.
„Wo ist Jayden?“ Catalinas Warnung tobte durch seinen Kopf.
Jayden ist nicht Jayden
.
Ein grausames Lachen stach schmerzhaft in Noahs Ohren. „Hast du es noch nicht geschnallt, Darling?“
Noah antwortete nicht.
„Ich bin Jayden. Für dich. Für euch alle. Mein Zwillingsbruder hockt derweil in Finnland und hütet Schafe … oder was weiß ich. Ab jetzt darfst du mich Jason nennen.“
„Aber du …“ Noah schluckte hart. „Was willst du?“ Seine Stimme gefror zu Eis. Diesen Mann kannte er nicht! Er hörte beinahe sein Oberstübchen rattern, fühlte, wie sich Zahnräder bewegten und einen Mechanismus in Gang setzten, der ihn in einen Zustand souveräner Ruhe versetzte; seine Gefühle in einen ausbruchsicheren Käfig steckte und klares Kalkül in die Denkkanäle presste. Es ging nicht um ihn und seine Beziehung, nicht darum, welcher Wahnsinn Jason gepackt hatte, viel Gefährlicheres lag in der Luft. Noah trat einen Schritt zurück und brachte sich in Lauerstellung. Er griff wie in Zeitlupe eine Vase von der Kommode und zerschlug sie auf der Möbelkante. Eine spitz zulaufende Scherbe schmiegte sich in seine Hand. Er atmete tief ein, versuchte, die Bestürzung im Sog des Luftholens unterzutauchen.
Jasons Nasenflügel bebten.
„Wo ist Catalina?“ Die Beherrschung seiner Tonlage steigerte Noahs Mut, aber auch die Rage, die einen Knoten in seinen Magen wand. Seine Muskeln versteiften sich, bereit zum Angriff. Er würde sich nicht von Jason einschüchtern lassen.
„Du glaubst, du kannst mich überwältigen?“ Ein irres Kichern folgte den Worten.
Der Kerl war durchgeknallt. Er hatte es wahrhaftig mit einem Verrückten zu tun. Langsam näherte sich Jason rückwärtsgehend einem wuchtigen Ohrensessel, von dem Noah nur die Rückenlehne sah. Das Möbelstück erinnerte schmerzhaft an Dad. Ein Bild, wie Dad Pfeife rauchend und die Beine hochgelegt in seinem Lieblingssessel saß, manifestierte sich vor seinem inneren Auge, doch er verdrängte es. Emotionen unterdrücken. Militärische Disziplin bewahren. Gespannte Aufmerksamkeit, dem Gegner keine Chance einräumen für ein Überraschungsmoment. Dad hatte es ihm jahrelang eingetrichtert.
Jason legte seine Finger auf die Lehne des Ledersessels. Er verzog die Mundwinkel zu einem Grinsen, das sein apartes Gesicht zu einer Fratze verzerrte. Ein Schauder durchlief Noah. Im Schneckentempo drehte Jason den Sessel. Noah bereitete sich auf den Anblick einer gefesselten alten Dame vor, die Lider angstvoll aufgerissen, den Mund geknebelt und in einem stummen Schrei verkrampft.
Die reale Szene ließ ihn keuchen. Catalinas leerer Blick fraß sich wie Säure in sein Herz. Die Farbe Rot gewann an grausamer Bedeutung, die klaffende Wunde am Hals erzeugte Brechreiz.
„Mörder!“ Noah spuckte vor Jason auf den Fußboden. Tropfen seines Speichels landeten auf Jasons Schuhspitzen.
Ein wildes Knurren grollte aus der Kehle seines Widersachers. Als hätte man einen tagelang ausgehungerten
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