Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
insbesondere mit ihren Dienststellen. Dafür möchte er Ihnen im Voraus danken.«
Alle nickten, dann wurde es still im Saal. Jeder las die FBI -Notiz. Manche sogar ein zweites Mal. Am Ende war es das Gesicht des Leiters der Squadra Mobile von Reggio Calabria, Lorenzo Bruni, welches das meiste Interesse zeigte. Er war neununddreißig Jahre alt. Groß, sportliche Figur, pechschwarze Haare, dunkler Teint. Die Squadra Mobile befehligte er seit über zwei Jahren, nachdem er den gesamten Werdegang vom kleinen Streifenbeamten bis zum Kommissar und stellvertretenden Leiter der Squadra durchlaufen hatte. Er kannte sich bestens aus mit der Kriminalität in der Region und war einer der wenigen Experten bei der Polizei im Kampf gegen die ’Ndrangheta.
Ferrara entging sein besonderes Interesse nicht, weshalb er sich direkt an ihn wandte, als alle fertig waren.
»Dottor Bruni, was halten Sie davon?«, fragte er.
»Diese Notiz ist möglicherweise interessanter, als sie auf den ersten Blick scheint. Sie enthält tatsächlich ein paar spannende Hinweise.«
In ruhigem, professionellem Ton legte er die Verbindungen zwischen Vertretern der ’Ndrangheta und kolumbianischen Drogenhändlern dar, die bei einer laufenden Untersuchung der Antimafiaabteilung der Polizei von Reggio Calabria zutage getreten waren.
Nachdenkliches Schweigen breitete sich aus, das schließlich von Carracci unterbrochen wurde.
»Wir wissen zwar von einigen Clans, die Geschäfte mit Kolumbianern machen, aber es gibt bisher keine Indizien, die einen Drogentransport auf die hier beschriebene Weise bestätigen würden«, erklärte er mit besserwisserischer Miene.
»Aber wir haben immerhin einen Ausgangspunkt«, entgegnete Ferrara. »Und es ist dieses aktuelle Opfer, Rocco Fedeli, bei dem wir beginnen müssen, um mehr über den Rauschgifthandel zu erfahren, an dem er vermutlich beteiligt war und der zu seiner Ermordung führte.«
Dann regte er die Bildung einer Task Force an, deren Basis in Reggio Calabria bei der dortigen Dienststelle der DIA sein sollte.
Alle stimmten zu, auch die Amerikaner. Nur Carracci wirkte zögerlich.
»Was die Bildung dieser Arbeitsgruppe angeht, möchte ich mir vorbehalten, das entsprechende Personal der Squadra Mobile und der SCO erst dann zur Verfügung zu stellen, nachdem ich mit dem Polizeichef darüber gesprochen habe«, erklärte er in einem Ton, der keine Widerrede zuließ.
Ferrara sah nicht gerade glücklich drein bei diesem Vorbehalt, nickte jedoch knapp.
»Ich verstehe, Dottor Carracci, aber ich möchte Sie bitten, mir Ihre Antwort so bald wie möglich mitzuteilen«, sagte er. Carraccis Einwand passte ihm überhaupt nicht, aber erwollte sich nicht auf ein Kompetenzgerangel einlassen, um keinen negativen Eindruck bei den amerikanischen Gästen zu hinterlassen.
Ferrara führte die Amerikaner an diesem Abend zu Dal Bolognese an der Piazza del Popolo, dem begehrtesten Restaurant von ganz Rom, in dem es trotzdem immer einen Tisch für ihn gab. Es wurde ein entspannter Abend, und sie vergaßen die Arbeit beinahe völlig. Die amerikanischen Kollegen wussten die ausgezeichnete Küche sehr zu schätzen, besonders den ersten Gang mit der hausgemachten Pasta: Tortelloni gefüllt mit Ricotta und Spinat und Tagliatelle in Trüffelsoße.
Als Ferrara in seine Dienstwohnung zurückkehrte, hielt er ein Päckchen in der Hand.
Petra lag in einem türkisfarbenen Hausanzug auf dem Sofa. Sie hatte ihre blonden Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und las einen deutschen Roman. Im Hintergrund war die Stimme von Vasco Rossi zu hören, einem italienischen Sänger und Songschreiber, den sie sehr mochte.
Michele küsste sie auf den Mund und überreichte ihr dann das Päckchen mit einem jungenhaften Grinsen.
»’ne Überraschung?«, rief Petra.
Die vielen Jahre in Italien hatten ihren deutschen Akzent nicht ganz ausmerzen können, der noch deutlicher zutage trat, wenn sie das eine oder andere Wort in sizilianischem Dialekt einfließen ließ.
»Mach’s auf.«
Petra lächelte und öffnete das Päckchen mit verschwörerischem Blick. Sie ahnte schon, was es enthielt: ein großes Stück Saint-Honoré-Torte! Es war nicht das erste Mal, dass Ferrara ihr einen Nachtisch mitbrachte, wenn er von einem Arbeitsessen kam. Er wusste, wie gern sie naschte.
Petra stand auf, um einen Kuchenteller und eine Gabel aus der Küche zu holen. Derweil ging er ins Schlafzimmer, um seinen Anzug abzulegen und sich vor allem von der Krawatte zu befreien,
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