Blutsverwandte: Thriller (German Edition)
gefehlt hatte, und das gab ihr Halt. Ihre Strenge half Cleo dabei, Disziplin zu entwickeln. Und Onkel Greg bewies ein Können in Selbstverteidigung und dem Umgang mit Waffen, von dem Cleo nur träumen konnte, ein Können, das er gern an sie weitergab. Sie beschloss, die beiden am Leben zu lassen.
Zu Cleos Bestürzung reichte ihr Entschluss jedoch nicht aus. Vera war die erste von Cleos Angehörigen, die bei einem echten Unfall umkommen sollte, und zwar einem Autounfall. Da war Cleo fünfzehn. Veras Drohung vom ersten Tag im Ohr, war Cleo von da an eine Zeitlang überzeugt, dass damit ihre ganze Ausbildung unnütz geworden sei und eine Wendung des Schicksals sie nun als Mörderin bloßstellen würde, ehe sie dazu kam, Mord als Kunstform zu praktizieren.
Doch Monate verstrichen, Cleo übte weiter, und es drang nichts nach außen. Onkel Greg lehrte sie weiterhin, was er konnte, und erweiterte ihre Lektionen um ein großes Spektrum an Täuschungsmethoden. Sein ganzer Schmerz über Veras Verlust verlagerte sich nun auf das Ziel, Cleo zur perfekten »Agentin« – wie er sie nannte – im Namen der Familie zu machen.
An ihrem einundzwanzigsten Geburtstag eröffnete ihr Onkel Greg, dass man ihm nach Veras Tod gewisse Informationen übergeben habe, er jedoch wisse, dass sie Veras Tod nicht verschuldet habe.
Sie erfuhr nie, wo Onkel Greg selbst seine Ausbildung erhalten hatte. Vor fünf Jahren war er bei einem Kletterunfall ums Leben gekommen. Auf seiner Beerdigung hatte Roy angedeutet, dass Greg früher einmal bei der CIA gewesen sei, doch Cleo hatte das Gefühl, dass das nicht stimmte.
Cleo begab sich nur selten in den Kreis der Familie. Sie war noch nie gern in größerer Gesellschaft gewesen und wollte auch nicht, dass mehr als eine Handvoll Leute sie identifizieren konnten. Sie zog oft um und zeigte Nachbarn, die sich mit ihr anzufreunden versuchten, die kalte Schulter. Ihre Energien konzentrierte sie darauf, für die nächste Situation zu trainieren, in der sie gebraucht würde. Dadurch war sie selten zu Hause.
Ihre Übungs- und Sportprogramme boten ihr ein gewisses Ventil für ihre Energie. Eine minutiös abgestimmte Reihe von Affären mit Männern aus ihrer »Familie« bot ein Ventil für ihren Sexualtrieb. Sie hielt sich ihnen in jeder Hinsicht für überlegen, und das würde sie ihnen eines Tages in einer Form beweisen, die ihnen nicht gefallen würde. Ach, vielleicht würde sie einen von ihnen zum Spaß behalten.
Sie lächelte vor sich hin und malte sich aus, wie das werden würde. Jedenfalls würde sie eines Tages sämtliche Fäden in der Hand halten. Dazu bedurfte es guter Planung und Geduld.
Und der Entfernung einiger Hindernisse auf dem Weg. Sie stand auf, reckte sich und ging wieder in die Wohnung. Nach nur zwei Tagen war sie von ihrem Haus in den Bergen zurückgekehrt. Eigentlich hatte sie länger bleiben wollen, doch ein Anfall von Unruhe hatte sie gepackt, und so war sie zurückgefahren.
Seufzend sah sie sich in ihrem Wohnzimmer um. Sie würde erneut umziehen müssen. Vielleicht wäre es sogar besser, wenn sie das vor dem nächsten Job tat.
Im Ohr vernahm sie Onkel Gregs Stimme, die ihr einschärfte, ihre Anonymität zu wahren.
Sie würde noch morgen hier ausziehen.
Das Telefon klingelte. Sie meldete sich und lauschte mit wachsender Vorfreude.
»Kannst du so bald einen neuen Auftrag annehmen?«, wollte Giles wissen.
»Natürlich«, antwortete sie.
»Aber behalt diesmal die Schuhe an«, sagte er.
Sie hätte fast aufgelegt. Stattdessen schwieg sie.
»Tut mir leid«, murmelte er. »Das hätte ich nicht sagen sollen.«
»Nein«, bestätigte sie. Sie ließ erneutes Schweigen zwischen ihnen entstehen, ehe sie wieder sprach. »Ich ziehe um.«
»Wann?«
Sie beschleunigte ihre Pläne etwas. »Heute.«
»Heute!«
»Ja.«
»Das ist wohl das Beste. Hast du die neue Adresse schon?«
»Noch nicht.«
»Ruf mich an, wenn du sie weißt.«
Heute stellte er wirklich eine Forderung nach der anderen. »Ich muss jetzt Schluss machen«, sagte sie und legte auf. Das würde ihm guttun.
Sofort rief sie bei der Spedition Fletcher an und fragte nach Andy. Während sie darauf wartete, dass er an den Apparat kam, warf sie einen Blick auf den Wecker am Bett. Sie hatte die Sachen von ihrer Kurzreise in die Berge noch nicht ausgepackt, daher würde es nur ein paar Minuten dauern, die Kleider zusammenzusuchen, die sie aus der Wohnung brauchte.
Andy meldete sich. In seiner jugendlichen Stimme schwang
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