Bluttaufe: Thriller
stapelte. Wie Bauklötzchen schichtete er sie zu einem schiefen Turm in die Höhe. Seine Mutter war weit und breit nicht zu sehen. Der vielleicht vierjährige Knirps schnappte sich vier Dosen und stellte sie auf dem Gang zu einem Sitz zusammen.
An der Fleischtheke unterhielten sich die Verkäuferinnen mit verschränkten Armen. Nebenan sortierte eine Kollegin Weinflaschen von einer Palette ins Regal.
Die junge Frau, die auf die Verkäuferin zusteuerte, kam ihm bekannt vor. Nicht, dass er von Weitem das Gesicht hätte erkennen können, nein, es war etwas an ihrem Gang, ein leichtes Wiegen in den Hüften, fast ein wenig männlich. Auch die Haare passten, und dann machte sie ein paar weitere Schritte. Weitz atmete hörbar aus. Kaja Winterstein! Die Psychotante. Was hatte die hier zu suchen?
Ihr gegenüber hatten sie den Namen des Supermarktes, aus dem dieser Kassenbon stammte, gar nicht erwähnt. Oder hatte Tannen sie eingeweiht? Wenn das so war, dann hätte sie ihm zumindest Bescheid geben können. Fehlte noch, dass sie sich bei ihren Ermittlungen gegenseitig über den Haufen rannten.
Kaja Winterstein steuerte zielsicher ein Regal der Weinabteilung an.
»Sieh an, sieh an«, sagte Weitz.
Sie packte zwei, drei, dann vier Flaschen Wein in ihren Einkaufskorb. »Mehr«, sagte Weitz und leckte sich die Lippen. Kaja Winterstein schob ihren Wagen ein paar Meter weiter und blieb dann vor der Spirituosenabteilung stehen.
»Cognac«, sagte Weitz laut, und noch einmal: »Los, Cognac.«
Kaja Winterstein zögerte kurz, griff dann zu einer Flasche Wodka.
»Na gut, Wodka.«
»Den riecht man nicht«, sagte der stellvertretende Filialleiter, der Weitz mit sichtlichem Vergnügen beobachtete.
»Was heißt das?«
»Na ja, Cognac, Korn, Rum, man riecht danach immer nach Alkohol, Wodka ist neutral, kein Mundgeruch. Sehr beliebt bei …«
»Bei wem?«
»Trinkern.«
»Unsere Psychotante hat ein Problem«, murmelte Weitz.
»Sie kennen die Frau?«
»Ich glaube nicht, dass Sie das was angeht.«
An einer der Kassen hatte der Mörder sich den Bon beschafft. Aber warum gerade hier? Was war an diesem Laden so besonders? Wusste er, dass das Überwachungssystem veraltet war? Beim flüchtigen Durchsehen der bereits ins Präsidium geschickten Videobänder war ihm niemand Außergewöhnliches aufgefallen. Neben den Kunden die
üblichen Asozialen, die sich früher auf Bahnhöfen herumtrieben und nun auf die Supermärkte und Einkaufscenter auswichen. Auf einem anderen Monitor tauchte erneut Kaja Winterstein auf.
Nein, diese Begegnung der besonderen Art würde er zunächst für sich behalten. Wer wusste schon, wozu sich die Beobachtung noch verwenden ließ. Es war immer gut, etwas in der Hinterhand zu haben, einen Trumpf, den man im richtigen Augenblick ausspielen konnte.
Tannen saß in einem der weißgetünchten Flure des Hammonia-Krankenhauses und wartete. Gynäkologische Abteilung. In einer Spielecke balgten sich zwei Kinder um einen Bagger, dem die Schaufel fehlte, hochschwangere Frauen staksten in Morgenmänteln den Flur entlang. Auf seltsame Weise lächelten sie alle in sich hinein, grüßten ihn dabei aber meist freundlich und nahezu verständnisvoll. Dieser Gesichtsausdruck musste etwas mit den Hormonen zu tun haben. »Mütterschwachsinn«, nannte seine Freundin Joyce das, und »vermehrungsdebil«. Dabei konnte er sich sehr gut vorstellen, mit ihr Kinder zu haben. Als er das einmal ganz nebenbei erwähnt hatte, hatte sie ihn angesehen, als wäre er schwachsinnig. Recht hatte sie. Kinder in diese Welt zu setzen! In eine Meute von Gierigen, Verrückten und zu allem entschlossenen Idioten … eigentlich ein Wahnsinn. Besonders fiel ihm das auf, wenn er sich die Schwachköpfe ansah, die an ihm vorbei in die Diskothek Bohème strebten. Viele stanken geradezu nach Machotum und Halbwelt. Und die Frauen waren meist nicht besser. Tannen rieb sich über den Oberarm. Gegen Schussverletzungen trug er in seinem Nebenjob eine Weste,
aber eine der betrunkenen Frauen hatte es tatsächlich geschafft, ihn mit ihren angefeilten Fingernägeln zu verletzen. Durch das Hemd hindurch. Die Stelle schien sich zu entzünden.
Frauen und Alkohol. Wenn Frauen sich in der Diskothek oder vor der Tür zu prügeln begannen, dann war höchste Vorsicht geboten. Bei Frauen war immer mit Nagelfeilen, Scheren, Messern, Pfefferspray oder geschleuderten Handtaschen zu rechnen. Und sie gingen weit brutaler zu Werke als die Männer. Hörten nicht auf, wenn die
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