Bluttaufe: Thriller
vornherein ausschließen. Gut möglich, dass er sich als gelehriger Schüler empfindet. Einer, dessen heißester Wunsch es ist, seine Vorbilder zu übertreffen, die Morde zu perfektionieren!«
Mangold wollte etwas erwidern, aber sie fuhr fort: »Und das wiederum bedeutet, dass er den Tätern, die er kopiert, nah sein möchte.«
Hensen bat einen uniformierten Polizisten, mit zwei Kollegen die Gebüsche in der näheren Gegend abzusuchen.
»Was soll das? Noch ein Toter?«, fragte Mangold.
»Wir suchen die kleine Miezi oder Hasso«, sagte Hensen.
»Bitte?«
Statt Hensen antwortete Kaja Winterstein. »Dahmer liebte es, Tiere auseinanderzunehmen. Wollte wissen, ob man das ›Leben‹ sehen kann.«
»Daran hat er sich …?«
»Schon als er in die Pubertät kam, mit vierzehn.«
»Nehmen wir an, es handelt sich um einen Serientäter«, sagte Mangold, »die bleiben doch bei einer Hautfarbe, bei einem Geschlecht.«
»Unser Mann spielt die Mordtaten fremder Täter nach«, sagte Kaja Winterstein. »Er will auf etwas ganz Bestimmtes hinaus. Dahmer, und genau den hat er hier nachgeahmt, holte sich seine Opfer aus dem Strichermilieu, setzte sie mit Schlafmitteln außer Gefecht und …«
Ein Polizist trat auf die Gruppe zu und bat sie, sich einen Fund anzusehen. Nur ein paar Meter entfernt hing ein Tierkadaver in einem Strauch. Der tote Pampa-Hase, dessen Artgenossen frei auf dem Tierparkgelände herumliefen,
war ausgenommen, die Augen waren durchstochen worden.
»Treffer«, sagte Mangold.
Hensen nickte. Nein, ihm war absolut nicht wohl bei diesem Fall. Das Vorgehen des Täters war äußerst kaltblütig. All das ergab nur Sinn, wenn eine Absicht dahintersteckte, ein Motiv, das er noch nicht bereit war vor seinem Publikum zu offenbaren. In gewisser Weise spielte er mit der Polizei, und zwar mit einer Ernsthaftigkeit und Liebe zum Detail, die ebenso perfide und genau geplant war wie sie brutal ausgeführt wurde.
»Was wird die Pathologie bei der Obduktion feststellen?«, fragte Mangold. »Oder andersherum, was ist wahrscheinlich, wenn der Täter in dieser Inszenierung den Jeffrey Dahmer gibt?«
»Zunächst das, was wir sehen«, sagte Kaja Winterstein. »Hensen, helfen Sie mir, wenn ich etwas vergesse?«
Sie blickte zu dem überraschten Hensen hinüber, der gerade seinen Skizzenblock aus der Lederjacke zog.
»Also Dahmer tötete seine Opfer, missbrauchte die Leichen, aß einige Teile«, sagte sie.
»Und fotografierte sich dabei, das ist sicher nicht ganz unwichtig«, sagte Hensen. »Die Polaroids wird er uns wahrscheinlich ins Präsidium schicken.«
»Was ist mit dem Loch? Ich meine mit dem Kopf des Toten?«, fragte Mangold.
»Dahmer wollte seine Opfer zu Sexsklaven machen und bohrte ihnen die Schädel auf. Anschließend füllte er die Löcher mit Salzsäure.«
»Oh Gott, ich hoffe, nachdem sie tot waren?«, fragte Mangold.
»Er wollte sie zu Sexsklaven machen«, sagte die Psychologin. »Er wollte Macht über sie ausüben, sie mussten diese Tortur lebend über sich ergehen lassen.«
»Wie krank können Menschen sein?«, murmelte Mangold.
»Macht, es geht um Macht«, sagte Kaja Winterstein. »Macht über die Opfer.«
Vom Elefantengehege her war ein Trompeten zu hören, in das andere Tiere einstimmten. Auch das Gekreische und durchdringende Pfeifen von Vögeln wurde lauter. Als Hensen in das Geäst eines Baumes aufschaute, konnte er einen Pfau erkennen.
»Die Tiere können tote Menschen riechen«, sagte er.
»Und warum ausgerechnet Hagenbeck als Ablageort?«, fragte Mangold. »Wollte er den Besuchern etwas bieten? Süchtig nach Berühmtheit?«
Weder Hensen noch Kaja Winterstein gaben eine Antwort.
Ein Mord auf dem Tierparkgelände, das wäre auf jeden Fall eine Schlagzeile wert, dachte Hensen. Wollte er damit seinen »Ruhm« auskosten? Die Menschen in Angst und Schrecken versetzen?
Er begann die Leiche zu skizzieren. Am Absperrband versuchten drei Fotojournalisten sich dem Tatort zu nähern. Auch ein Fernsehteam baute ein Stativ auf und arretierte eine Kamera auf der Schiene.
Ein wenig beneidete Hensen seine Kollegen. Sicher, sie wollten dicht an den Tatort, mit eigenen Augen sehen, ein spektakuläres Foto schießen, doch sie würden den Toten nicht zu Gesicht bekommen. Sie würden nicht mit diesem Bild leben müssen, das sich unauslöschbar ins Gehirn
brannte. Allein wegen der Wunde im Gesicht, die den Gesichtsausdruck grotesk verzerrte. Ganz zu schweigen von dem aufgebohrten Schädel und der
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