Bluttaufe: Thriller
ansonsten die Regeln einhalten.«
»Sie reden von Regeln?«
»Alle Spieler sitzen am Tisch und sind aufgeregt. Die Gräber öffnen sich und die Würfel rollen.«
»Was wollen Sie? Schlagzeilen, Macht? Uns zeigen, dass wir unfähig sind?«
Kaja Winterstein nickte, als wolle sie Mangold unterstützen, genau in dieser Weise weiterzufragen. Aber durfte er den Mann noch mehr provozieren?
»Ein Spiel im Dunkeln«, sagte Mangold.
»Wir können es vorverlegen. Nennen Sie ein Datum.«
»Ich verstehe nicht.«
»Nun ein Datum, das Ihnen gerade einfällt.«
»8. Oktober.«
»Mangold, nun stellen Sie sich nicht so an. Vollständig. 8. Oktober welchen Jahres?«
»8. Oktober 1978.«
»Schöner Spätsommertag in Norddeutschland, 24 Grad, leichte Bewölkung. Windstärke zwei bis drei.«
»Wird das jetzt eine Quizsendung?«
»Legen Sie nach, Mangold.«
»4. Dezember 1952.«
»Leichter Bodenfrost, tagsüber bewölkt, Windstärke eins bis zwei. Verstehen Sie jetzt das Spiel?«
»Was hab ich mit Ihren … Ihren Wetterdaten zu tun?«
»Mangold, weniger als Sie denken, und dabei sind Sie eben auch viel dichter dran, als Sie denken.«
»Das Orakel von Delphi.«
Kaja Winterstein griff zum Filzstift, schrieb »11. Juni 1972« auf einen Zettel und hielt ihn in die Höhe.
Mangold nickte und sprach das Datum in den Hörer. Am anderen Ende herrschte ein paar Sekunden Stille.
»Das Spiel scheint Ihnen Spaß zu machen. 11. Juni 1972, wo?«
Mangold sah zu Kaja Winterstein.
»St. Moritz«, zischte sie.
Mangold wiederholte.
»In der schönen Schweiz? Schwül, drückend schwül, am Abend dann heftige Gewitter, 24 Grad.«
Kaja Winterstein schüttelte verblüfft den Kopf.
Mangold sah sie an und hob dann fragend die Achseln.
Kaja Winterstein warf ihren Kugelschreiber auf den Tisch.
»Und jetzt an die Arbeit, liebes Team, der Ball ist im Spiel«, sagte die Stimme.
»Warten Sie, wir sollten …«
»1 c 4.«
»Warten Sie, ich habe …«
»1 c 4.«
»Ja?«
»Mangold, Sie sind am Zug. Sie und die netten Menschen um Sie herum.« Dann gab es einen Pfeifton und die Leitung war unterbrochen.
Einige Sekunden herrschte Stille im Besprechungszimmer.
»Beeindruckend«, sagte Kaja Winterstein.
»Ja«, sagte Hensen. »Wir haben es hier …«
»Klar gibt es die Wetterdaten im Internet, aber es war nicht einmal Zeit für die Eingabe«, sagte die Psychologin.
»Und?«, fragte Mangold. »Was bedeutet das?«
»Vorausgesetzt die anderen Daten stimmen, und daran hab ich nicht den geringsten Zweifel, also das Wetter bei meiner Geburt hat er genau beschrieben. Meine Mutter hat mir von den heftigen Gewittern erzählt, als ich geboren
wurde. Der Himmel hätte mich ›mit Blitz und Donner ausgespuckt‹.«
»Und?«, fragte Mangold. »Schlussfolgerung?«
»Sie werden Kriminalgeschichte schreiben«, sagte Kaja Winterstein. »So oder so, Sie werden Geschichte schreiben.«
10.
Marc Weitz hämmerte mit der Faust auf den Bürohefter. Dieser Reporter Hensen war nichts als eine Lachnummer. Der glaubte tatsächlich, er hätte das Ei des Columbus gefunden. Nachdem er bei der Besprechung herumgesessen und Kaja Winterstein gezeichnet hatte, war er mit seiner grandiosen Idee herausgerückt. Das Schärfste aber, sein Chef Mangold hatte sich nicht entblödet, das als den ersten ernstzunehmenden Ermittlungsansatz zu präsentieren. Waren sie hier in einem Kasperletheater?
Der Schreiberling hatte im Internet ein paar archäologische Seiten geöffnet und dort nachgelesen, dass die Leichenausgräber eine neue Methode entwickelt hatten, die Zähne uralter Toter zu analysieren. Auf Krankheiten und Genspuren. Ein Forschungsinstitut hatte dann das Verfahren weiterentwickelt und aus den Bissspuren ein dreidimensionales Gebiss rekonstruiert. Das wiederum ließ sich scannen und mit den Röntgenaufnahmen in Zahnarztpraxen abgleichen.
Gott sei Dank war es Tannen, der eine Rundmail an die Zahnärzte schicken und nachhaken durfte, wenn die zu faul waren, in ihren Akten nachzusehen. Und dass sie zu faul waren, war schon mal sicher. Seiner Meinung nach pure Zeitverschwendung.
Auch sein Chef Mangold vertraute mehr auf den Zufall als auf handfeste Polizeiarbeit. Sie würden schon
sehen, wozu er, Kriminalassistent Weitz, in der Lage war.
Einen klassischen Denkfehler hatte sein Kollege Tannen gemacht, als er sich auf die Spur dieser ominösen Samenspende gesetzt hatte. Der schien plötzlich Gefallen an den mistigsten Aufgaben zu finden. Wahrscheinlich wollte er
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