Bluttaufe: Thriller
Werkstatt glich. In den Regalen türmten sich Computer, Relais, elektronische Platinen und Festplatten. Riehm saß an einer Arbeitsplatte vor flimmernden Computerschirmen.
»Ich wollte Sie schon anrufen«, sagte er, ohne sich umzudrehen. Er deutete auf Sienhaupts Handy, das neben der
Tastatur lag und mit einem Kabel an den Rechner angeschlossen war.
»Diese Kiste hat nur wenig mit einem Telefon zu tun.«
»Das heißt?«
»Ist so eine Art Internet-Fernbedienung. Er steuert damit Rechner an, die im ganzen Bundesgebiet verteilt sind, nutzt die Rechnerressourcen und alles, was ihm wichtig ist …«
»Dafür braucht man doch Speicherplatz.«
»Seine Daten hat er auf Festplatten in Rechenzentren verteilt und miteinander verkoppelt. Frag mich nicht, wie das funktioniert, aber es funktioniert. Ich hab so etwas noch nie gesehen.«
»Er hat seiner Schwester also sein kleines Computer-Hobby verheimlicht.«
»Ich weiß auch, warum«, sagte Riehm.
»Sexuelle Motive, hübsche kleine Filmchen?«
»Filmchen schon, aber nicht so.«
Auf dem Bildschirm startete ein Film, der Frauen am Strand zeigte, danach eine verwackelte Sequenz, in der eine Kamera durch einen Türspalt gehalten wurde.
»Er ist Voyeur?«
»Er steht darauf, wenn Menschen heimlich beobachtet werden. Sexuelle Dinge tauchen eher nicht auf. Zwei, drei Filme vielleicht, aber er hat sie wohl eher zufällig mit in seine Sammlung aufgenommen.«
»Was ist mit den Programmen, die er benutzt?«
»Das ist ihm zu blöd. Er schreibt seine eigenen Programme. Auch wenn die instabil sind, er erreicht sein Ziel.«
»Ausspäh-Programme, Viren?«
»Jede Menge. Eines liefert übrigens Daten aus unserem
System direkt auf eine seiner Festplatten. Unwichtiges Zeug, der Mann ist ein Daten-Messie.«
»Interessen?«
»Ich hab nach den Informationen zu unserem Fall gesucht und nach Querverbindungen, nichts. Oder eben verborgen.«
»Ermittlungsdaten, die er an die Presse weitergegeben hat?«
»Nein, dafür aber Querschaltungen zu religiösen Seiten.«
»Der Mann liest mit seinen selbst gebastelten Superprogrammen in der Bibel?«
»Es geht um den Apostel Johannes. Er versucht die Bausteine der Bibel und Informationen, die er aus den Bereichen Naturwissenschaften, Kultur, aber auch der Sprachen klaubt, zusammenzubringen. Er baut die Welt aus wissenschaftlichen Erkenntnissen und Formeln noch einmal zusammen.«
»Wie kann man einen Bibeltext mit der Relativitätstheorie abgleichen?«
»Über Formeln. Vieles von dem Zeug ist verschlüsselt, da müsstest du schon ein Heer von Kryptoanalytikern anfordern. Vielleicht versuchst du es beim militärischen Abschirmdienst der Vereinigten Staaten. Da müssten die mal zwei, drei Kriege verschieben, um mit diesem Kram fertig zu werden.«
»Was ist mit dem Kontakt zu dem Killer?«
»Der Mann kommt aus den Tiefen des Internets und versucht ihm etwas zu erklären. Sienhaupts Fragen konnte ich nicht entschlüsseln, aber ich habe ein paar Antworten, die eingelaufen sind.«
Viktor Riehm rief das Word-Programm auf.
Mangold beugte sich vor.
»Was soll das sein?«
»Altgriechisch«, sagte Riehm und lud ein Übersetzungsprogramm hoch.
»Ich bin es, ich, der ist.«
»Stammt aus diesem Evangelium. Verändert zwar, aber siehst du das Wort, das das Programm nicht übersetzen kann?«
Mangold nickte. »Wenn ich das neugriechische Wörterbuch dazuschalte, kommt die Buchstabenfolge ›Peter‹ raus.«
»Er spielt Gott, dieser Mistkerl hält sich für Gott.«
»Zumindest für den Verwalter eines göttlichen Prinzips. Und das geht munter so weiter.«
Auf dem Bild erschienen die ersten Verse des Evangeliums nach Johannes:
Am Anfang war das Wort
und das Wort war bei Gott,
und das Wort war Gott.
Im Anfang war es bei Gott.
Alles ist durch das Wort geworden
und ohne das Wort wurde nichts, was
geworden ist.
»Nach diesem ersten Vers macht er mit dem 14. Vers weiter«, sagte Riehm und scrollte weiter:
Und das Wort ist Fleisch
geworden
und hat unter uns gewohnt
und wir haben seine Herrlichkeit
gesehen,
die Herrlichkeit des einzigen Sohnes
vom Vater,
voll Gnade und Wahrheit.«
»Eine Bekehrung?«
»Rechtfertigung, Anleitung, ich weiß nicht. Dieser Unbekannte will, dass Sienhaupt sein Handeln versteht. Der Mann weiß, dass Sienhaupt ein Savant und ein Autist ist, ein Geistesverwandter. Und weil er weiß, was Sienhaupt mit Informationen macht, sie sammelt, neu gruppiert, will er ihm eine Anweisung geben oder einen Weg weisen
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