Bluttrinker - Bellem, S: Bluttrinker
atmete tief durch. »Wie viel Zeit habe ich nun?«, fragte sie den gebrechlichen Heiler.
Ondarin kratzte sich am Kopf. »Ich hatte gehofft, dass wir uns bereits auf dem Rückweg befänden, ehe ich Euch diese letzte Flasche verabreichen muss«, gestand er.
»Wie lange?«, drängte die Fürstin.
»Einen Tag«, seufzte er.
»Dann besorg mir mehr«, sagte Iphelia tonlos. »Wir werden nicht so rasch nach Hause zurückkehren können.«
»Aber wie …«
»Das ist mir gleich!«, unterbrach sie ihn. »Lingalf braucht mich. Und ich brauche frisches Blut. Besorg es.«
Ondarin schluckte laut. »Ich werde mir etwas einfallen lassen.«
»Gut. Nun geh und lass mich allein.«
Als Ondarin aus dem Zimmer verschwunden war, legte Iphelia sich auf das Bett und schloss die Augen.
Lingalf
, dachte sie und vor ihrem inneren Auge formte sich die Silhouette des kleinen Jungen.
Für dich werde ich am Leben bleiben, mein Sohn. Koste es, was es wolle!
Das Bild veränderte sich und zeigte ihr Throndimar, der nun über hundert Krieger befahl, und sie musste leise lachen.
Du denkst, du hättest dein Ziel erreicht, nicht wahr? Deine Rache zum Greifen nah. Du wirst mir die Krone bringen, Throndimar. Die Krone für Lingalf.
*
Als die Nacht über Totenfels hereinbrach, stand Ondarin am Fenster und starrte auf die in den nächtlichen Schatten verschwindenden Gassen. Blut. Frisches Blut. Er musste es um jeden Preis bekommen.
Ich darf nicht wieder versagen!
, dachte er.
Meinetwegen hat Lingalf bereits keinen Vater mehr. Ich muss seine Mutter am Leben halten – nein, ich muss sie heilen!
Sein Blick schweifte weiter umher und er malte sich aus, wie Totenfels bei Nacht wohl sein musste. Krieger, die nach ihrer Wachablösung durch die Schenken zogen. Abgerissene Bettler, die auf der Suche nach Reichtum hier gestrandet waren, und leichte Mädchen, die versuchten den Händlern die hart erfeilschten Goldmünzen wieder abzuknöpfen. Junge Frauen, die ihre Körper zu Gold machten. Frauen, die kein Zuhause hatten, keine Familien, die sie vermissten. Frauen, die niemand vermissen würde …
Ein trauriges Lächeln der Resignation stahl sich auf Ondarins Züge. Er griff nach dem kleinen Köfferchen, in dem er einige Phiolen, ein scharfes Messer, saubere Stoffstücke, ein dickes Band sowie einen kleinen Trichter aufbewahrte. Dann legte er seinen langen Mantel an, zog sich einen breitkrempigen Hut auf den Kopf und griff noch den Beutel mit Goldmünzen, bevor er das Zimmer verließ.
Es fiel ihm leicht, aus der Burg zu verschwinden. Die Wachen kannten ihn und ließen ihn ohne weitere Fragen passieren. Ondarin achtete darauf, nicht den direkten Weg in die zwielichtigeren Stadtteile einzuschlagen. Erst als er außerhalb der Sichtweite der Burg war, steuerte er zielsicher gen Süden. Er mied die Schenken und das verräterische Licht, das aus ihren zuweilen offenen Türen drang.
Dicht gegen die Schatten gepresst erreichte er eine Straße, die unter den Kriegern der
Weg zum Glück
genannt wurde. Hier stand es, das einzige Freudenhaus der Stadt und eines der wenigen im Norden des Landes. Totenfels empfing als wichtiger Handelsknoten viele Reisende, und nicht wenige von ihnen waren auf der Suche nach käuflicher Liebe.
Eine Dirne aus dem Bordell konnte er sich jedoch nicht aussuchen, die wurden meist von groben Schlägern beschützt. Nein, Ondarins Ziel war eines der vielen armen Mädchen, die versuchten ihr schäbiges Auftreten durch einen geringeren Preis auszugleichen.
Ein Mädchen, das niemand vermissen wird
, wusste der Heiler.
»Na, Alterchen?«, begrüßte ihn eine kecke Rothaarige mit prallen Brüsten, die sie in eine viel zu enge Korsage gezwängt hatte. »Kann ich dir was Gutes tun?«
Ondarin merkte an der Reaktion der umstehenden Dirnen rasch, dass die Sprecherin keine Außenseiterin war – und somit für seine Zwecke völlig ungeeignet. »Nein danke«, lehnte er höflich ab.
Die Rote gab sich nicht so leicht geschlagen und hielt Ondarin am linken Arm fest. »Glaub mir, eine Bessere findest du nicht.«
»Ja, Anurja, lass ihn nicht so leicht davonkommen!«, stachelte eine andere Hure sie noch zusätzlich an.
Ondarin wand sich aus dem Griff und bemühte sich um ein unscheinbares Lächeln. »Ich fürchte, du bist nicht ganz, was ich suche«, sagte er höflich.
Sie belegte ihn mit einem vielsagenden Blick: »Glaub mir, Alterchen, ich kann
alles
sein, was du dir wünschst.« Sie leckte sich genüsslich über die vollen Lippen und glitt mit den
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