Bluttrinker (German Edition)
Gleichgültigkeit. Nach Augenblicken
ließ er wieder von ihm ab und verzog den Mund, als hätte er eine bitter
schmeckende Medizin zu sich genommen.
Durch den Nebel der Erschöpfung schien Tony ihre
Verwunderung ein weit entferntes Gefühl zu sein.
Sie verstand, dass sie soeben etwas sehr Wichtiges gesehen hatte. Was sie
bisher über Bluttrinker in Erfahrung gebracht hatte, führte sie zu der
Überzeugung, das Trinken stelle stets ein genussvolles, erotisches Erlebnis
dar. Obwohl Lukas ihr versicherte, dies sei keinesfalls immer der Fall.
Schließlich hatte sie vor Kurzem mit eigenen Augen erlebt, wie sogar Schmerz
und Verzweiflung seinen Artgenossen Lust bereiteten. Sie hatte angenommen,
Lukas wolle sie nur beschwichtigen, da sie ja wusste, dass er sich regelmäßig
von anderen Menschen ernährte. Dass ihm die Nahrungsaufnahme sogar unangenehm sein
konnte, hätte sie ihm niemals geglaubt.
In Gedanken mit dieser Erkenntnis beschäftigt bekam sie
nicht mit, wie Johann die Hausherrin nach Paracetamol schickte. Erst als er ihr
zwei Tabletten praktisch in den Mund steckte und sie nötigte, das Medikament mit
einem Glas Wasser hinunterzuspülen.
Es fiel ihr schwer, das kalte Wasser zu schlucken. Inzwischen fühlte ihr Hals
sich wie rohes Fleisch an. Und sie fror wieder, obwohl sie in die Daunenjacke
gemummelt im beheizten Flur stand.
Wie durch Watte hörte sie, wie Lukas und Johann sich mit
knappen Worten abstimmten, welche Erinnerungen sie den Sterblichen
einpflanzten. Dann streiften sie ebenfalls ihre geborgten Jacken über
und sie verließen gemeinsam das Haus.
39
Johann studierte die Straßenkarte, Lukas fuhr den Wagen. Sie
hielten sich an Nebenstraßen, um dem allgemeinen Chaos aus dem Weg zu gehen und
achteten auf den Verkehrsfunk.
Tony bemerkte all das nur am Rande. Die Fahrt hatte etwas
Unwirkliches, und dafür war ihr fiebriger Zustand nur teilweise verantwortlich.
Der alles unter sich begrabende Schnee und der Himmel zeigten fast die gleiche
Farbe und strahlten einen diffusen, orangefarbenen Schimmer ab. Lukas fuhr über
weite Strecken ohne Licht. Die Nachtsicht des Bluttrinkers war ohne künstliche
Beleuchtung besser und sie waren beinahe allein auf den zugeschneiten Straßen.
Gelegentlich schaltete er die Scheinwerfer ein, wenn sie durch Dörfer fuhren.
Vorbei an festlich dekorierten Fenstern und beleuchteten Bäumen und Hecken, die
immer tiefer im Schnee versanken. Als die Nacht in einen frühen Morgen
überging, tauchte Frankfurt auf den Verkehrsschildern auf. Tony war nicht
einmal in den Sinn gekommen zu fragen, wohin die Reise ging.
„Wir fahren nach Frankfurt?“, kam Nora, die das Schild
ebenfalls bemerkt hatte, ihr zuvor. „Zum Hauptquartier?“
Lukas Vater wandte sich zu seiner Frau um.
„Wir haben kein Geld, keine Papiere, keine Waffen und sind in gestohlenen
Kleidern mit einem geklauten Auto unterwegs. Nach Hause können wir auf keinen
Fall. Dort werden wir mit Sicherheit erwartet. Wie ich Bodo einschätze, sind
mittlerweile nicht nur die Alten, sondern auch Agenten des Rates hinter uns
her. Der Mistkerl wird Antonius schon irgendeine Geschichte aufgetischt haben,
wenn die beiden nicht sowieso unter einer Decke stecken. Genau das gedenke ich
rauszufinden. Die Bande wird mich kennenlernen!“
Johanns Stimme klang mit jedem Satz gereizter. Tony drückte sich unwillkürlich
ein wenig tiefer in den Sitz. Lukas ließ sich vom Zorn seines Vaters weniger
beeindrucken. Er verbiss sich ein Grinsen, als er fragte:
„Und was ist mit den Beziehungen zwischen dem Rat und den Jägern? Und dem
internationalen Konflikt, der zu einem Vampirkrieg von nie da gewesenen
Ausmaßen führen könnte?“
„Die können mich mal“, knurrte Johann. „Als Erstes kaufe ich mir diese Ratte
Marius.“
Das Pfeifen des Windes, das diffuse Licht, das hypnotische
Wirbeln der Flocken vor dem Seitenfenster, das alles versetzte Tony in einen
traumhaften Zustand, während ihr Fieber erneut anstieg. Sie fuhren grade durch ein
weiteres Dorf, dessen Namen sie nicht kannte. Dunkelheit und die Schneedecke
veränderten die Landschaft des Rhein-Main-Gebiets so stark, dass sie keine
vertrauten Punkte ausmachen konnte. Der Sturm türmte den Schnee an jedem
Hindernis, das sich ihm in den Weg stellte auf.
Polternd kam der Van abrupt zum stehen. Der Sicherheitsgurt bewahrte Tony
davor, gegen den Vordersitz geschleudert zu werden. Nora schreckte aus dem
Halbschlaf hoch und schrie leise auf.
Lukas fluchte vor sich hin. Er riss die
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