Bluttrinker (German Edition)
weit
wie möglich von der Tür wegzubewegen, als könnten die wenigen Zentimeter ihn in
Sicherheit bringen. Aus durch tagelange Dunkelheit wilden Augen starrte er den
Ankömmlingen in panischer Furcht entgegen. Jede sichtbare Stelle seiner Haut
schien mit Blessuren bedeckt. Ältere und neuere Spuren von Schnittwunden,
Verbrennungen, Blutergüssen. Die ganze linke Hälfte seines Gesichts war
bläulich-gelb verfärbt, seine Oberlippe geschwollen.
„Thomas, es ist gut.“ Er schien Johanns beruhigende Stimme nicht
wahrzunehmen.
Arne tastete nach dem Lichtschalter. Eine einzige Glühbirne unter einem
verstaubten Lampenschirm flammte auf.
Geblendet zerrte Thomas noch fester an seinen Fesseln. Die Seile rissen das
Fleisch an seinen Handgelenken auf. Blut sickerte aus den neu aufbrechenden
Wunden.
Im selben Moment, als die beiden Jäger das frische Blut rochen, hörten sie ein
tiefes, raubtierhaftes Grollen. Es ging von der bisher hinter der geöffneten
Tür verborgenen zweiten Gestalt aus.
„Jan!“
Der Bluttrinker war mit schweren Eisenbändern an die Wand gekettet. Der Geruch
des Blutes hatte seine Bewusstlosigkeit durchdrungen. Sein Körper bäumte sich
in den Fesseln auf. Die vollständig ausgefahrenen Fangzähne wirkten riesig in
dem eingefallenen, wächsernen Gesicht und schnappten ziellos ins Leere. Getrocknetes
Blut war an den Seiten seines Kopfes herabgelaufen und hatte den Schritt der
Hose durchtränkt. Seine Unterarme endeten in Stümpfen, deren Gefäße sich zwar
geschlossen hatten, aber kaum Zeichen einsetzender Regeneration aufwiesen. Dafür
hatte es dem Organismus des Vampirs schlicht an Energie gefehlt.
Thomas bäumte sich erneut auf, als die Jäger sich Jan näherten. Er riss mit
aller verbliebenen Kraft an seinen Fesseln.
Johann fasste den jungen Mann an den Schultern und
schüttelte ihn.
„Thomas! Es ist vorbei. - Thomas Rhode, hör mir zu!“
Sein vollständiger Name schien etwas in dem panikerfüllten Bewusstsein zu
erreichen. Zumindest hörte er auf, sich noch weiter zu verletzen.
„Alles wird gut, Thomas. Du lebst. Jan lebt. Wir sind Jäger. Wir haben Helmar
getötet.“
Johann verstummte. Etwas fiel ihm ins Auge, verblüffte ihn.
Blut klebte im Haar des Menschen und in der Matratze. Auch Thomas waren die
Ohren abgeschnitten worden. Doch die Verletzung sah nicht aus, wie die
unversorgte Wunde eines Sterblichen. Die Gefäße hatten sich sauber und ohne
jede Infektion geschlossen. Wo die Ohrmuscheln hätten sein sollen, hatten sich
kleine, knubbelige Gebilde entwickelt, an denen jeder Bluttrinker sofort
erkennen konnte, dass sich hier der Ansatz für neue Ohren heranbildete.
Thomas regenerierte sich, wie es nur einem Bluttrinker und seiner verbundenen
Gefährtin möglich war – oder in diesem Fall einem Gefährten.
Helmar konnte dies nicht entgangen sein, nachdem er begonnen
hatte, den jungen Mann zu verletzen. Tatsächlich erschien es Johann, als sei
der Bluterguss auf Thomas Gesicht in dem kurzen Moment bereits ein wenig
verblasst. Wenn Thomas so zügig heilte, musste die Blutsverbindung bereits seit
Jahren bestehen.
Die Verachtung der Alten Götter gegenüber den Menschen ging
so weit, dass sie selbst die mit ihnen verbundenen Frauen nur als Mittel zum
Zweck der Fortpflanzung akzeptierten. Helmars Zorn musste grenzenlos gewesen
sein, als er erkannte, dass sein Sohn einen Mann als Gefährten gewählt hatte.
Johann legte seine Hand auf Thomas unverletzte Wange. „Alles
wird gut“, beteuerte er. Es war ein guter Schuss Neugierde dabei, als er einen
Versuch unternahm, in Thomas Geist einzudringen.
Nein, keine Chance. Der Junge war tatsächlich einer der seltenen männlichen
Telepathen.
Wer konnte es Jan verdenken, dass er nicht lange gezögert hatte, den Jungen an
sich zu binden? Auch wenn vieles dafür sprach, dass Thomas zu diesem Zeitpunkt
sehr jung gewesen sein musste.
Thomas blinzelte krampfhaft. Seine Augen schienen sich
endlich an das schwache Licht anzupassen. Erkennen stand in ihnen, als er
Johann anstarrte. Matthias erschien in der schmalen Tür.
„Etienne ist wieder einigermaßen bei sich. Er hat keine
Ahnung, wohin sich alle verdrückt haben.“
Matthias Miene blieb ausdruckslos, als sein Blick auf den übel zugerichteten
Jan fiel.
„Das hier wird schwieriger werden. Wir werden wohl doch noch Blutwirte besorgen
müssen.“
„Das würde nichts bringen“, bemerkte Johann trocken und half Arne beim Lösen
von Thomas Fesseln.
44
In der geräumigen Küche der Villa hatte
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